Paris, Rue La Boétie 23

Es ist belegt, dass Picasso in diesem Haus um 1932 ein Atelier hatte. Ich kannte die Adresse von einer an ihn gerichteten Postkarte, ausgestellt im Musée national PicassoParis, und war neugierig, wie das Haus wohl heute aussieht. Die schönen Augenfenster im Portal müssen Picasso gefallen haben. Die Zahl 23 kommt gleich zweimal vor. Ein Motorrad mit Katzenaugen wird es damals allerdings nicht gegeben haben. Am Nachbarhaus berichtet die Inschrift auf einer Marmortafel: Ici, au 21 rue La Boétie, Paul Rosenberg installa sa galerie d’art entre 1910 et 1940. Il y exposa les plus grand peintres modernes dont ses amis Picasso, Braque, Matisse et Léger. L’immeuble fut réquisitionné par la Gestapo pour y installer l’Institut des Questions Juives (IEQJ) en 1941.
Eine böse Ironie der Geschichte ist, dass der führende Ideologe der Nationalsozialisten auch Rosenberg hieß, mit Vornamen Alfred. Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) war dafür verantwortlich, dass im besetzten Paris Kunstwerke aus bekannten Sammlungen und Galerien geraubt wurden. Paul Rosenberg konnte zwar nach New York auswandern, musste aber seine Kunstsammlungen zurücklassen. Mehr als dreihundert seiner Kunstwerke waren beschlagnahmt worden und von Paris aus verkauft, verteilt oder in das Deutsche Reich gebracht worden. Die Journalistin Anne Sinclair, eine Enkeltocher von Paul Rosenberg, hat über ihren Großvater recherchiert und 2012 ein Buch dazu veröffentlicht.

siehe auch den Blog-Beitrag vom 23. Oktober des letzten Jahres

I Fortunati

Gestern Abend hatte der Zufall, der Kairos oder sogar Fortuna wieder einmal etwas Wunderbares für uns bereitgestellt. In Paris erlebten wir eine Aufführung schönster Musik von Vivaldi und D‘all Oglio! Unser Freund, der Cellist Leonhard Bartussek, hatte uns zu seinem Konzert eingeladen. Wir sind wieder in Paris, weil heute Abend in der Galerie Le Feuvre und Roze neue Arbeiten von Jan Kolata gezeigt werden. Zu unserer Freude hatten wir dann erfahren, dass auch Leo wegen seines Konzerts in Paris ist. Im Maison de la Radio France, direkt an der Seine, spielte er an diesem Abend mit dem Ensemble Il Pomo d’Oro. Für mich war es ein außerordentliches Konzert: wie die Violonisten Dimitry Sinkovsky und Evgeny Sviridov sich zuspielten, voller Empathie, voller Zartheit und gegenseitiger Freude, das hatte ich noch nie so nah und lebendig erlebt. (Wie zum Beispiel bei diesem Stück: Concerto pour deux Violons en La mineur, RV 523) Was die Russen alles können! Die Kraft und die Schnelligkeit, die sie in ihr Spiel legen, ohne aber zu artistisch zu werden, ist sensationell. Die unterschiedlichsten Töne entlocken sie den Violinen! Und alle zwölf weiteren Musiker des Ensembles spielten hervorragend mit den beiden Solisten zusammen. Großer Applaus und drei Zugaben.

Nach dem Konzert beleuchtete der Eiffelturm unseren Rückweg.

Dada

Ein Traum, heute morgen zwischen vier und fünf Uhr.
Ich war in einer großen Gesellschaft.
Um uns Flure, Treppenhäuser, ein Auditorium.
Ich gehe eine Wendeltreppe hinunter,
wissend, dass ich einen Auftritt habe.
Ich singe schöne Töne mit tiefer oder hoher Stimme.
Dann lass‘ ich laut meine Atemgeräusche hören.
Unten angekommen trete ich vor das Publikum und sage:
«Ich bin die alte Tante Henry Nannen aus Hamburg
und das Beilagengericht passt nicht, wie Sie wohl gemerkt haben.»
Ein Mann aus der zweiten Reihe, sieht aus wie ein ehemaliger Bekannter,
muss heftig kichern, er hält die Hand vor sein Gesicht
und biegt sich vor Lachen zur Seite.

Mir war’s auch sehr lustig zumute…

Konzert auf dem Schiff von Kingston upon Hull nach Kiel,
invertierte Fotografie von 2008,
 

Stille

Die Stille ist das Erstaunlichste
am Grab der Verstorbenen.

Die Toten sprechen nicht mit uns,
Zeichen bilden wir uns ein.

Aufgezeichnetes Sprechen
im Film können wir
noch nicht ertragen.
Bilder können wir schon betrachten.

Die Archive arbeiten wir langsam auf.
Die Habseligkeiten der Toten
sprechen eine andere Sprache.

Precious Stones

Der indische Prinz trug an seinem Mittelfinger sieben Ringe, besetzt mit Diamanten, Smaragden, Rubinen und einem Morganit. Die Steine funkelten und blitzten, dass ich meine Augen nicht abwenden konnte. In ihren Schliffarten waren sie alle unterschiedlich: Die Diamanten im Brillant- und Altschliff, oder im Baguetteschliff. Ihr Weiß ging von einem hochfeinen River bis zu einem leicht getönten Crystal. Der große Smaragd im Emerald Cut, einem Treppenschliff, hatte schönste Einschlüsse in seinem wunderbaren Jardin. Der Morganit, ein rosafarbener Beryll, hob sich hervor durch seinen Triangelschliff. Alles war in 750er Weißgold gefasst. Der Prinz sah nicht nur meine Bewunderung, sondern auch die Fachkenntnis. Er sagte: «Weil ich Sie als Liebhaberin der Steine erkenne, schenke ich Ihnen einen von diesen Ringen. Wählen Sie aus!» Ich war sprachlos, aber ohne lange zu zögern, wählte ich den leicht gelblichen Diamanten in ovalem Altschliff und wie ich später herausfand, wiegt der Stein etwas über 1,2 Carat. Seine Reinheit ist fast makellos, das konnte ich mit meiner Lupe unter 10-facher Vergrößerung erkennen. Er hat ein ungewöhnliches Feuer, obwohl er unterhalb der Rundiste noch relativ tief ist und die Kalette unten abgeschnitten wurde. Dieser Stein wurde wohl gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschliffen. Ich werde den Ring in Ehren halten und schenkte dem Prinzen einen prächtigen Melaphyr-Mandelstein, den ich am Rheinufer gefunden hatte.

Mehr zum indischen Prinz in der Kategorie Bild auf ruth23weber.de

DEO FAVENTE und ZEUS

DEO FAVENTE und ZEUS trafen sich gestern auf Kilometer 742. Heute kam MATRIX flussabwärts. Viel Futter für die Schiffsnamenpoesie. Ich komme gar nicht mehr nach, kann nicht immer zum Fenster eilen, um das Fernglas zu zücken, die Namen zu lesen und damit zu arbeiten. Es reicht, der Schiffe sind zu viele. Ich sollte viel mehr hinaus an die frische Luft, um am Ufer des Rheins auf Schatzsuche zu gehen. Vorher will ich von einem wiederkehrenden Traum erzählen: Dem Auffinden von besonders schönen klaren Kristallen im Erdreich. Ich grabe dann bewußt unauffällig, damit keiner der im Traum anwesenden Personen etwas von meinen kostbaren Entdeckungen bemerkt. Oft sind es rutschende, lehmige Böschungen in freier Natur, auf denen ich glänzende Flächen von farbigen Turmalinen oder einfachen Quarzen bemerke. Oder auch auf Baustellen, die ich heimlich betrete, finde ich große einzelne Steine, wie die schönen gleichmäßigen Oktaeder des Fluorits. Heute Nacht war es eine große Quarzstufe, wasserklar und an einer Stelle rötlich gefärbt, wie von Hämatit. Ich fand sie an einem sandigen Hang, wieder rutschend, so dass ich sie schnell bergen musste. Meist findet die Schatzsuche nach einer Naturkatastrophe statt. Der Himmel ist wild, man sieht eine Feuersbrunst oder eine haushohe Welle am Horizont, rasch näher kommend. Ein großer Wind ist zu spüren. Das unebene Gelände wechselt ständig, tiefe Abgründe tun sich auf oder ganze Teile brechen weg. Ich aber behalte den Boden stets im Blick und finde die überraschend schönen Steine.

Bergkristall mit großem Pyriteinschluss, Minas Gerais, Brasilien, Sammlung RW

Musik

An einem der ersten Tage des Neuen Jahrs habe ich bis in die tiefe Nacht hinein die Musik der 60er und 70er Jahre in Filmausschnitten gehört und gesehen. Ich konnte mich nicht mehr losreißen. Die Live-Auftritte verschiedener Künstler hatten es in sich. Mir war nicht klar, dass Otis Redding sein The Dock Of The Bay schon im Dezember 1967 aufnahm und dies erst posthum nach seinem tragischen Tod im Januar 1968 veröffentlicht wurde. Ich hatte dieses schöne Lied (das leider zu oft bei passenden und unpassenden Gelegenheiten medial verwurstet wird) für Jahrzehnte älter gehalten. Otis Redding wurde nur 26 Jahre alt. Vom wunderbaren B.B. King konnte man dagegen The Thrill Is Gone noch 2010 und 2011 hören und sehen. Jimi Hendrix, John Lennon – auch sie waren jung, als sie starben. Ihre Musik und die Musik überhaupt ist die beste Möglichkeit, auf Zeitreisen zu gehen und mit Haut und Haaren wirklich da zu sein.

Fotografie von RW, im Winter 2004 auf der Reitallee, Hofgarten Düsseldorf, mit den illuminierten Bänken von Stefan Sous.

Die Heiligen Drei Könige

Morgen am 6. Januar ist Epiphanias, der Tag der Erscheinung des Herrn, das Fest der Heiligen Drei Könige. Ich habe vor drei Jahren in Köln im Museum Schnütgen und in der Schatzkammer des Domes die Ausstellung zu den Heiligen Drei Königen gesehen. Dort habe ich mindestens fünf Postkarten des Motivs vom Traum der Könige/Weisen/Magier gekauft. Heute stellte ich eine davon zwischen meine Wunderkammerexponate (Am Rand der Fotografie sieht man Achat aus dem Saarland, Landschaftsmarmor aus Italien, und eine Geode aus Südtirol). Das auf der Postkarte abgebildete Teil eines Figurenkapitells, aus der Kathedrale Saint Lazare in Autun, war für die Ausstellung zum ersten Mal ausgeliehen worden. Die Darstellung hat mich tief beeindruckt. Wie der Engel zum Stern deutet und gleichzeitig die Hand des ersten Königs berührt, der daraufhin die Augen öffnet, gehört zum Schönsten, was ich in diesem Zusammenhang gesehen habe. Die Heiligen Drei Könige liegen mit ihren Kronen im Bett, unter einer gemeinsamen Decke, die mich in ihrer konzentrischen Faltung an eine Muschelklappe (z.B. Globivenus effossa) erinnert. Leider ist das Motiv auf der Karte an den Rändern beschnitten, so dass man die Bettpfosten der Liegestatt nicht sieht. Kopfkissen und Decke, sowie die Kronen sind kostbar und detailreich geschmückt. Die Schatten auf der Aufnahme sind allerdings etwas zu stark, daher wirkt hier die Mimik des Engels strenger als im Original, obwohl der Augenblick ja höchst dramatisch ist. Wie schön sich die Zahl Drei im Bild der drei Könige, drei Kronen wiederholt: in den drei Händen und Armen, die dann wieder in einem Dreieck zusammengeführt werden! In dessen Innerem bildet die Faltung ein wiederholtes, neues Kreisen. So ist die Darstellung bei allem Detailreichtum gleichzeitig durch die Abstraktion der Linien und Formen in eine Botschaft gehöht, die über das rein Erzählerische weit hinaus geht.

Teil eines Figurenkapitells, Kalkstein mit Spuren von farbiger Fassung,
«Der Traum der Könige»,
Autun, Kathedrale Saint Lazare, Kapitelsaal,
um 1125 -35, Fotografie der Postkarte  JM Duband
 
 

Traube und Träne

Zum Gedenken an Dr. Volker Kahmen, Gründer des Literatur- und Kunstinstituts Hombroich, dessen schöne Mineraliensammlung ich letztes Jahr im Rosa Haus auf der Insel Hombroich sehen durfte.

Grüner und violetter Chalcedon, traubenartiges Aggregat, Mamuju Area, West Sulawesi, Indonesia, Sammlung von RW
Regentropfen am Ende eines Ästchens, Insel Hombroich bei Neuss, Januar 2018
(siehe auch den Beitrag vom 1. Februar 2018, zum Vergrößern die Fotos anklicken)

Zwei

Zwei Perlenfedern auf dem Feldweg,
gelegt, betaut, gekämmt von irgendeiner Fügung.
Im weiten Blick die nassen Wiesen
mit Weide, Pappel, Birke
am Saum des alten Wassergrabens.
Rechts vom Weg der neue Angerbach,
gezähmt, Betonkaskaden inklusive.

Gesehen im Naturschutzgebiet zwischen Anger und Bruchsgraben, Duisburg Huckingen, siehe auch den Beitrag vom 22. Oktober 2018