Frühlingsküsse

Die Sonne scheint drei Tage lang und schon blühen die Krokusse mit ihren zarten violetten Sternchen zu Hunderten rund um die alte kleine Kirche von Schoorl und bestimmt auch anderswo! Angeblich gibt es 235 Arten dieser Pflanze (23 und 5, unsere Lieblingszahlen!). Der Safran (Crocus sativus) gehört zu den kostbarsten. Der aromatische Duft und die schöne gelbe Farbe der Safranfäden sind unverzichtbar im Risotto Milanese, in der Paella, in der Bouillabaisse. Und früher sagten wir auf: Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen. Wer will guten Kuchen backen, der muss haben sieben Sachen. Eier und Schmalz, Zucker und Salz, Milch und Mehl, Safran macht den Kuchen gehl!

Krokusblüten in Schoorl, Nordholland, gestern im Nachmittagslicht

Teufel im Detail

Was zerrt der Platanenteufel mit seinen Klauen am Abendhimmel über dem Rhein herum? Dabei ist so präzis eine goldene Kontur am Wolkenrand gezeichnet, so schön der Lichtkegel darüber gesetzt worden. Nein, er muss noch eine Wolke darüber blasen, um mit seiner Zutat das Schauspiel zu krönen.

Gesehen gestern Abend an Kilometer 742

Kein Hauch

Nach einem stürmischen Wochenende ist der Rhein heute Morgen so glatt und ruhig, als wolle er ein stehendes Gewässer vortäuschen. Ist das nur der Fall, wenn es fast windstill ist oder der Wind aus einer bestimmten Richtung bläst? Heut ist er kaum spürbar und kommt aus dem Westen. Ich meine, der Fotograf Andreas Gursky hätte einmal im Zusammenhang mit seinen Rheinbildern gesagt: Nur bei Ostwind ist der Rhein so glatt. Nun – vielleicht ist nicht die Richtung wichtig, sondern, von welchem Winkel aus der sehr schwache Wind auf die Wasseroberfläche trifft und die Wellen gleichsam mit dem Strich glättet. Oder von welchem Ufer aus man beobachtet? Die Fließgeschwindigkeit spielt sicher auch eine Rolle. Das Phänomen hält auch nicht lange. PROMESSA fährt gerade vorbei gefolgt von NEVADA und PRONTO kommt ihnen entgegen – die Schiffe sind jetzt wieder von deutlichen Wellen umgeben, die zügig Richtung Holland fließen.
Weil die Platanen am Rheinufer vorgestern beschnitten wurden und damit die Sicht auf den Fluss wieder ganz frei ist, fällt es leicht, ein bisschen über das Wasser nachzudenken.

Ich habe die Essays und Gedichte von Adam Zagajewski für mich entdeckt. Ich liebe seine Beobachtungen und seine «Poesie (ist Suche nach Glanz»). Ich empfehle sie weiter. Zum Beispiel in «Die kleine Ewigkeit der Kunst» und «Asymmetrie». Beides Carl Hanser Verlag

Obere Fotografie vom Samstag, untere von heute Morgen gegen 9.30 Uhr.

Sichelmond

Heute Abend stand die sehr schmale Sichel des Mondes gestochen scharf am klaren Winterhimmel. So klar war es, dass ich den übrigen Mond als graurosa Schatten ausmachen konnte. Die Sichel des Mondes ist für mich ein Anlass-Zeichen, dankbar zu sein. Ihre Schönheit überdeckt das Vergehen der banalen Zeit. «Der alte Tag ist da» wie die greise Tante im Altenheim zu klagen weiß. Übertags waren es allerdings schon 10 Grad plus gewesen, die Sonne schien und die Eichhörnchen turnten rasend und kopfüber in den Thujen des hinteren Gartens. Auch Meise und Rotkehlchen flatterten zwischen Walnussbaum und Magnolie, die schon Knospen trägt.
Die schöne Reise der Eltern ins Gebirge bleibt in vergilbten Panoramen erhalten.

Vierzehn Nothelfer

Zu den vierzehn Nothelfern gehört auch der heilige Blasius, dessen Namenstag wir heute feiern. Seinen Segen können wir bei Erkrankungen des Halses erbitten, da er der Legende nach einem jungen Mann, der an einer Fischgräte zu ersticken drohte, durch sein Wirken das Leben rettete. Der Segen wird mit zwei gekreuzten Kerzen erteilt, wobei der Segnende die Formel spricht. Im Rheinland ist dies durchaus noch gebräuchlich, entweder an Maria Lichtmess (gestern) oder am heutigen Gedenktag des Bischofs und Märtyrers, meist im Anschluss an die heilige Messe.

Teichhuhn im Hofgarten Düsseldorf, Fotografie RW, Februar 2004

Die Achatschale

Das Kunsthistorische Museum Wien hat in seiner Schatzkammer (WS XIV 1) eine Achatschale aus dem 4. Jahrhundert nach Christus. Sie ist aus einem Stück geschnitten und könnte am Hofe Konstatins (306-337) entstanden sein. Sie gelangte nach der Eroberung Konstantinopels in den Westen und ist 1564 erstmals urkundlich im Hause Habsburg erwähnt. Für mich ist nicht nur ihr Alter und ihre Schönheit so beeindruckend, sondern dass man bei besonderer Beleuchtung in den feinen Zeichnungen des Achats die Buchstaben XRISTO lesen kann. (Es existieren Lesarten, die noch mehr Buchstaben finden.) Dass man seit Jahrhunderten diese Schale so verehrt, weil man an ein Wunder der Natur glaubt, die Schale das Gefäß des letzten Abendmahls sei, damit Der Heilige Gral sein könne, hat mich sehr fasziniert. Man will das Wirken Gottes in den Naturdingen sehen, oder anders formuliert ist die Natur die Künstlerin. Solche feinen Dinge gehören in die Kunst- und Wunderkammern und sollen für immer dort bleiben.
Was ich aber von der aktuellen Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien halten soll, weiß ich noch nicht. Wes Anderson und Juman Malouf sind die Kuratoren von Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures. Der Filmer und die Designerin haben aus den vier Millionen Objekten des Museums (inklusive Schloss Ambras und anderen Museen) über 400 Stücke ausgewählt und aufwändig präsentiert. Nach Farben, Formen und anderen äußerlichen Kriterien geordnet. Ob die kostbaren und seltenen Dinge jetzt in dieser Präsentation zu einem Setzkastensammelsurium verkommen, müsste ich vor Ort überprüfen. Alle Kunstwerke sind ohne Legenden ausgestellt (es gibt allerdings ein Beiheft und einen Katalog). Zur Ausstellung schrieb Dietmar Dath recht kritisch in der FAZ vom 30. Januar 2019.
Was mich ein wenig stört, ist die Anwesenheit von Mode und Design, die sich zu den Kunstkammerstücken gesellen, wenn man zum Beispiel auf der Website des Museums auch sieht, wie die Kuratoren sich in ihren schönen Kleidern neben den noch schöneren Kleidern der prominenten Vernissagengäste fotografieren lassen. Nun – man hat sich in vergangenen Jahrhunderten auch in Samt und Seide vor den eigenen kostbaren Sammlungen porträtieren lassen. Eine Fahrt nach Wien steht schon lange aus.

Detail einer polierten Achatscheibe (Ozeanjaspis), Fundort Madagaskar, aus der Sammlung von RW, das Stück im Ganzen auf ruth23weber.de unter der Kategorie Stein.

 

Trompe-l’œil

Der Maler Otto Strützel hatte dieses kleine Blatt im Jahr 1882 gezeichnet. Mir fiel es vorgestern in die Hände, als ich die von Onkel und Tante geerbte Graphiksammlung aus Kisten und Kasten hervorholte, um sie einem kenntnisreichen Besucher zu zeigen. Ich frage mich – hatte Strützel eine Postkarte der Externsteine zum Vorbild? Es existieren viele alte Postkarten mit mehreren, collageartig angeordneten Bildausschnitten der Externsteine. Ich habe bei meinen Recherchen ein aus der Allgemeinen illustrierten Zeitung herausgenommenes Blatt (S. 224, Weber, Land und Meer) mit sieben gedruckten Ansichten der Externsteine und Umgebung, ursprünglich gezeichnet von Strützel, gefunden. Dort zeichnet er auch eine Sicht auf eine Anhöhe, genannt Vogeltaufe. Aber vielleicht war der Künstler auch wirklich vor Ort, hat er das Motiv doch öfter gezeichnet. Hier vorliegen haben wir die Landseite der Steinformation mit der kleinen Brücke vom höchsten Felsenturm nach links. Besonders bemerkenswert ist das Bild im Bild (sogar gerahmt!), vielleicht der Blick zur Vogeltaufe mit einem größeren Felsen. Das Bild im Bild wirkt rechts wie auf das Papier aufgelegt, aber links ist es von einem Zweig des benachbarten kahlen Buschs bedeckt. Kurios! Im Gras wachsen Pilze im Vordergrund, es scheint Frühling zu sein, die Bäume im Mittelgrund wirken hell und licht. Während des Zeichnens in der Sonne hat sich wohl eine Fliege auf dem Blatt niedergelassen, die Strützel gleich mit aufnimmt, als Trompe-l’œil. – Nun holt die Zeit uns ein, Strützel ist längst wieder im Atelier und pinnt das Blatt an die Wand (gezeichnete Nadel rechts oben). Es hat inzwischen Gebrauchspuren erhalten, Eselsohren am oberen und rechten Rand und eine weitere Heftzwecke unten rechts, wo ich den Stein aufgelegt habe.
Die Externsteine sind eine aus dem Osning-Sandstein verwitterte Felsformation der Unterkreidezeit, ein im Flachmeer entstandenes Sedimentgestein, das sich durch tektonische Einflüsse vor etwa 70 Millionen Jahren aufgerichtet hat. Funde von altsteinzeitlichen Artefakten belegen, dass vor circa 10.000 Jahren der Ort für Menschen schon attraktiv war. Zu späterer Zeit sind christliche Nutzungen denkbar (u.a. sieht man ein in den Felsen gehauenes Relief  mit Golgatha-Motiv). Im dritten Reich versuchte man durch intensive, aber auch fälschende Forschung das Naturdenkmal als nationale germanische Kultstätte zu etablieren.

Otto Strützel (Dessau 1855-1930 München) Die Externsteine, Bleistiftzeichnung, 10,5 x 15,5 cm, 1882, Familienbesitz W.  Ehemals aus der Sammlung des Malers Prof. Christian Kröner; 1959 ging die Zeichnung für zwei Kästen Bier von seinem Sohn Erwin Kröner an Brauereidirektor S. G. und seine Gattin E. G.
Am Rand auf der Zeichnung liegend ein Quarzit mit Milchquarzbänderung aus der Rheingeröllesammlung von RW.

Der Turm

Ein Mann fotografiert eine Frau vor einem Turm. Alle Fenster des Turmes sind weit geöffnet, bis auf eins. Hat der Fotograf sich hingehockt, um die Höhe des Turms mit aufzunehmen? Die Frau steht etwas steif, ihr Körper und auch ihr Kopf wenden sich dem Fotografen nicht zu. Im Schatten stehend hat sie die Sonnenbrille nicht abgenommen, um ihn anzulächeln. Der Turm ist umgeben von Palmen und anderem exotischen Grün. Heimlich habe ich diese Aufnahme gemacht. Hat die Frau mich etwa bemerkt und wirkt deswegen so abweisend, weil sie beim touristischen Posieren nicht gesehen werden mag? Ich kann mich nicht mehr ganz genau erinnern, wo dieser Turm stand. Vielleicht in der Nähe von Havanna, auf dem Grundstück der Finca Vigia von Ernest Hemingway: ich weiß, dass wir im Jahr 1987 auf Kuba sein Haus besichtigten. Alles schien unberührt in den privaten Räumen. Bücher, Jagdtrophäen, eine Schreibmaschine, Reproduktionen einiger Kunstwerke von Goya und Klee, große Plakate von Stierkämpfen, geblümte Sessel, alles sah so aus, als sei es noch an seinem ursprünglichen Platz. Und jetzt weiß ich’s wieder, der Turm war Hemingways Aussichtsplatz und Arbeitsraum. Hier konnte er nicht nur über das weite Land schauen, sondern auch, wie das noch existierende Teleskop verrät, in die karibischen Sternennächte blicken.

Fotografie von RW und LB, 1987, Cuba, San Francisco de Paula, Finca Vigía

Drei Schiffe

Am Sonntagmorgen kamen drei Schiffe
ALDABRAN – LEA – VERTIGO
an km 742 vorbei, in dieser Reihenfolge.

Das ALDABRAN Atoll ist eine Riffinsel
nördlich von Madagaskar in der Nähe der Seychellen.
Ich kenne die wunderbar türkisfarbenen Lagunen von La Digue,
die schönen, runden, verwitterten Granitfelsen,
die so besondere Kulissen in den Buchten bilden.
Weißer Sand aus Foraminiferen und Korallenresten.
Dazu das Grün von Mangrove und Palme.
War ich dort? Hab ich beim Tauchen die seltsamen Fische gesehen?

Als LÖWIN, im August geborene und geerdete,
könnte ich HÖHENANGST oder besser Flugangst entwickelt haben.

Ich war nicht im indischen Ozean.
Allerdings bin ich vor Jahrzehnten in der virtuellen Welt
eines Computerspiels durch die Mangrovewälder
bis in die Buchten ans blaue Meer vorgedrungen.
So täuschend ähnlich, dass ich begeistert
lange in den Schauplätzen verweilte,
um mir alles genau anzuschauen,
anstatt die nötigen Rätsel zu lösen,
um das nächste Level zu erreichen.

Ich könnte Millionen von Reiseberichten im Internet anschauen,
mit den spektakulärsten Drohnen- und Selfistick-Fotos.

Will ich aber nicht.
Man kann sie nicht übersteigen und übersteigern,
alles schon da gewesen, alles schon gesehen.

Blatt, gefunden im Naturschutzgebiet zwischen Anger und Bruchsgraben, Duisburg Huckingen, siehe auch die Beiträge vom 2. Januar 2019 und 22. Oktober 2018