Der Turm

Ein Mann fotografiert eine Frau vor einem Turm. Alle Fenster des Turmes sind weit geöffnet, bis auf eins. Hat der Fotograf sich hingehockt, um die Höhe des Turms mit aufzunehmen? Die Frau steht etwas steif, ihr Körper und auch ihr Kopf wenden sich dem Fotografen nicht zu. Im Schatten stehend hat sie die Sonnenbrille nicht abgenommen, um ihn anzulächeln. Der Turm ist umgeben von Palmen und anderem exotischen Grün. Heimlich habe ich diese Aufnahme gemacht. Hat die Frau mich etwa bemerkt und wirkt deswegen so abweisend, weil sie beim touristischen Posieren nicht gesehen werden mag? Ich kann mich nicht mehr ganz genau erinnern, wo dieser Turm stand. Vielleicht in der Nähe von Havanna, auf dem Grundstück der Finca Vigia von Ernest Hemingway: ich weiß, dass wir im Jahr 1987 auf Kuba sein Haus besichtigten. Alles schien unberührt in den privaten Räumen. Bücher, Jagdtrophäen, eine Schreibmaschine, Reproduktionen einiger Kunstwerke von Goya und Klee, große Plakate von Stierkämpfen, geblümte Sessel, alles sah so aus, als sei es noch an seinem ursprünglichen Platz. Und jetzt weiß ich’s wieder, der Turm war Hemingways Aussichtsplatz und Arbeitsraum. Hier konnte er nicht nur über das weite Land schauen, sondern auch, wie das noch existierende Teleskop verrät, in die karibischen Sternennächte blicken.

Fotografie von RW und LB, 1987, Cuba, San Francisco de Paula, Finca Vigía