Trompe-l’œil

Der Maler Otto Strützel hatte dieses kleine Blatt im Jahr 1882 gezeichnet. Mir fiel es vorgestern in die Hände, als ich die von Onkel und Tante geerbte Graphiksammlung aus Kisten und Kasten hervorholte, um sie einem kenntnisreichen Besucher zu zeigen. Ich frage mich – hatte Strützel eine Postkarte der Externsteine zum Vorbild? Es existieren viele alte Postkarten mit mehreren, collageartig angeordneten Bildausschnitten der Externsteine. Ich habe bei meinen Recherchen ein aus der Allgemeinen illustrierten Zeitung herausgenommenes Blatt (S. 224, Weber, Land und Meer) mit sieben gedruckten Ansichten der Externsteine und Umgebung, ursprünglich gezeichnet von Strützel, gefunden. Dort zeichnet er auch eine Sicht auf eine Anhöhe, genannt Vogeltaufe. Aber vielleicht war der Künstler auch wirklich vor Ort, hat er das Motiv doch öfter gezeichnet. Hier vorliegen haben wir die Landseite der Steinformation mit der kleinen Brücke vom höchsten Felsenturm nach links. Besonders bemerkenswert ist das Bild im Bild (sogar gerahmt!), vielleicht der Blick zur Vogeltaufe mit einem größeren Felsen. Das Bild im Bild wirkt rechts wie auf das Papier aufgelegt, aber links ist es von einem Zweig des benachbarten kahlen Buschs bedeckt. Kurios! Im Gras wachsen Pilze im Vordergrund, es scheint Frühling zu sein, die Bäume im Mittelgrund wirken hell und licht. Während des Zeichnens in der Sonne hat sich wohl eine Fliege auf dem Blatt niedergelassen, die Strützel gleich mit aufnimmt, als Trompe-l’œil. – Nun holt die Zeit uns ein, Strützel ist längst wieder im Atelier und pinnt das Blatt an die Wand (gezeichnete Nadel rechts oben). Es hat inzwischen Gebrauchspuren erhalten, Eselsohren am oberen und rechten Rand und eine weitere Heftzwecke unten rechts, wo ich den Stein aufgelegt habe.
Die Externsteine sind eine aus dem Osning-Sandstein verwitterte Felsformation der Unterkreidezeit, ein im Flachmeer entstandenes Sedimentgestein, das sich durch tektonische Einflüsse vor etwa 70 Millionen Jahren aufgerichtet hat. Funde von altsteinzeitlichen Artefakten belegen, dass vor circa 10.000 Jahren der Ort für Menschen schon attraktiv war. Zu späterer Zeit sind christliche Nutzungen denkbar (u.a. sieht man ein in den Felsen gehauenes Relief  mit Golgatha-Motiv). Im dritten Reich versuchte man durch intensive, aber auch fälschende Forschung das Naturdenkmal als nationale germanische Kultstätte zu etablieren.

Otto Strützel (Dessau 1855-1930 München) Die Externsteine, Bleistiftzeichnung, 10,5 x 15,5 cm, 1882, Familienbesitz W.  Ehemals aus der Sammlung des Malers Prof. Christian Kröner; 1959 ging die Zeichnung für zwei Kästen Bier von seinem Sohn Erwin Kröner an Brauereidirektor S. G. und seine Gattin E. G.
Am Rand auf der Zeichnung liegend ein Quarzit mit Milchquarzbänderung aus der Rheingeröllesammlung von RW.