Denken und Rechnen zwischen drei und vier Uhr nachts:
Wenn ich die 23 verdopple, erhalte ich 46, verdopple ich wieder, erhalte ich 92 und so weiter. Bis 5888 kann ich es noch im Kopf rechnen. Es macht mir ziemlich Mühe, eigentlich sollte ich schlafen, an nichts denken: aber Nichts, Nichts, Nichts zu denken, fällt auch schwer. Jetzt interessieren mich die Quersummen meiner gewonnenen Zahlen. Die Quersumme von 23 ist 5, von 46 ist sie 10, bzw. 1, usw. Plötzliche merke ich, dass sich die Quersummen ähneln. Das ist verblüffend: wiederholen sich die Quersummen, wenn ich von 23 ausgehend immer wieder verdoppele?
23 46 92 184 368 736 1472 2944 5888 11776
5 1 2 4 8 7 5 1 2 4
JA! Die Quersumme der Gruppe ist 9.
Wenn man die 27 verdoppelt, kommt immer die 9 als Quersumme.
27 54 108 216
9 9 9 9
Wenn man die 21 verdoppelt, kommt immer 3 und 6 als Wiederholung.
21 42 84 168 336
3 6 3 6 3
Ich bin so erstaunt über meine nächtlichen Entdeckungen, dass ich sie notiere und in den nächsten Tagen darüber schreiben will. Da suche ich heute ein passendes Beitragsbild nach dem Nadel-im-Heuhaufen-Prinzip, es hilft der Zufall und ich lande durch planloses Scrollen und Klicken in einem Archiv des Jahres 2009. Das Foto habe ich im Oktober 2009 in Schottland aufgenommen. In der Gemäldesammlung eines alten Schlosses, das als Jugendherberge diente. Ein schlafender Amor mit der Inventarnummer 23.
CARPE VESPERUM
Nachtrag zur Schiffsnamensammlung. Es ist sechs Minuten vor Fünf am Nachmittag und ich sehe am fünften Tag des Jahres das Schiff mit dem Namen CARPE VESPERUM vorbeifahren. Der Tanker fährt unter der Flagge von Luxemburg, fährt rheinaufwärts Richtung Basel in den Süden. Wir machen uns auf zu einem Abendspaziergang. Draußen ist es dunkel. Und kalt.
Es gibt auch einen Merlot mit dem Namen CARPE VESPERUM, wie ich im Internet erfahre. «Rubinrot» soll er sein, «balsamische und krautige Noten» haben. Er ist recht teuer, kostet über 150 € und ist vom Weingut Madonnina in der Toscana. La Madonnina – da denke ich aber an Milano, an die goldene Madonnenfigur hoch auf dem Mailänder Dom. Auf dessen Dach untersuchte ich vor Jahren in gleißendem Licht die Steinmetzarbeiten aus hellem Marmor. Die Madonnina auf der höchsten Spitze des Doms trägt um den Kopf einen Kranz aus vielen Sternen. Auf dem Etikett des Weines sehe ich ein Sternbild: wie das Kreuz des Südens, hat aber in der Mitte noch einen zusätzlichen Stern, also fünf Sterne. Das Kreuz des Südens sah ich noch nie in meinem Leben, muss dazu reisen auf die südliche Halbkugel weit unter den Äquator.
Der Abend – der Rubin – die Fünf – die Sterne – der Süden – Balsam und Fluss. Das Schweifen und Fliegen in alle Himmelsrichtungen gefällt mir. Heute ist schon der siebte Tag und die Heiligen Drei Könige kamen gestern am sechsten Tag. Wieder ist Abend am siebten Tag.
Aufbruch zum abendlichen Spaziergang, invertierte Fotografie RW , 7. Januar 2025
MI VIDA
CARISMA, FELIX, VITESSE, MI VIDA, so hießen die Rheinschiffe, die im Neuen Jahr 2025 als erste vorbeifuhren. Und zwar in dieser Reihenfolge. Das ist unintended poetry – für mich geschenkt – ich danke. Die Bäume sind geschnitten, der Rhein fließt wieder gefühlt durch den Wohnraum, und ich kann nicht anders, ich muss jeden Schiffsnamen mit dem Fernglas überprüfen, wenn ich ihn nicht mit bloßem Auge erkennen kann. Das Fernglas des Großvaters, der mit mir einst – als ich 2 Jahre alt war – an dieser Stelle auf einer Bank am Rhein saß.
Ausblick auf den Rhein mit dem Fernglas, Fotografie Jan Kolata, 3. Januar 2025
24-12-24
Nun, heute ist ein Symmetrietag: 24-12-24 und zweimal 12 ist 24. Und ich kann mich auch alleine freuen und ich schaue gern auf das festliche Licht des Weihnachtsfotos von 2020… das war das erste Jahr der Pandemie. Schon fast vergessen. Will mal schauen, was ich vor vier Jahren schrieb:
Dieses Jahr ist Weihnachten besonders. Vor sechs Jahren war es schon sehr anders: zum ersten Mal ohne die Mutter. Vor zwei Jahren noch einmal erheblich anders: ohne Vater und Mutter. Und nun: ohne Besuche bei den Geschwistern und Freunden. Aber ein Glück, dass wir zu zweit allein sind.
Draußen hinter dem Rheinfenster ist es heute an Heiligabend grau, kalt und nass. Habe wohl alle Vorbereitungen fertig. In den Ohren vernehme ich wie immer bei Stille ein helles Sirren. Der Nacken schmerzt ein wenig. Aber ich freue mich, ich freue mich, ich freue mich. Heut ist doch kein Tag wie jeder andere. Es ist schon Nachmittag, aber ich bin nicht ungeduldig. Da höre ich von der Küche her das Geschafteln zur Vorbereitung eines selbstgemachten Kartoffelsalats. Also nicht ganz allein, sondern zu zwein. Der Zweig, den ich gegen 12 Uhr in die Bodenvase stellte, ist ein Kümmerling mit dünner Benadelung, aber er duftet nach Fichte. So verdient er es geschmückt zu werden. Das habe ich gemacht mit zwei Glasvögelchen, wenigen kleinen Kügelchen und einer Lichterkette mit winzigen Lämpchen. Weil der Zweig die Spitze senkte, habe ich zu seiner Aufrichtung die Drähte der Lichterkette bis hinter die hohe Vitrinentüre geklemmt. Nun ist auch Licht bei meinen Figuren aus Bronze, Keramik und Wachs. Morgen werden wir die Schwester und ihre Söhne besuchen.
Weihnachtsbaum im ersten Pandemiejahr, Fotografie RW 24. 12 2020
Für das Neue Jahr
Da ist sie nun in der Bar des Hotels am Dom gelandet – die steinalte Sophia. In Billerbeck bestellt sie kein Pils. Sie hat ein vorweihnachtliches Konzert im Ludgerus-Dom erlebt, genau gegenüber. «Wachet auf, ruft uns die Stimme » klingt ihr noch im Ohr, die wunderbare Kantate von Johann Sebastian Bach. (BWV 140) Leider kann sie diese nicht mehr singen: sie hat es probiert: die Stimme versagt, nicht nur wegen des Alters, sondern auch wegen der Rührung, die sie sofort überkommt.
Jetzt kurz vor Weihnachten will sie Bilanz halten. Sie mag 2023, sie mag 2024, aber 2025 mag sie nicht. Obwohl auch die 5 ihre Lieblingszahl ist. Sie beginnt zu rechnen, Quersumme 9. Auch die gefällt ihr nicht.
Was bringt ihre Gedanken zur Ruhe? Sie will sich konzentrieren, inne halten: die Bilanz von 2023 fiel außerordentlich gut aus, die Bilanz von 2024 ist auch hervorragend.
Da bestellt die steinalte Sophia ein Glas Champagner, um das Folgende zu feiern: ihre große Dankbarkeit für alles, was sie in ihrem Leben gestalten und mitgestalten durfte – für jedes Jahr Weihnachten, das sie über 60 mal mit ihren Eltern und Geschwistern zusammen feierte, für die kindliche Freude auf das Fest, die ihr erhalten blieb und für die Zuversicht, die sie nun spürt, und sie nimmt sich vor, mit dieser in das Neue Jahr zu gehen.
Frohe Weihnachten und eine glückliches, friedvolles Neues Jahr 2025!
Silvester in Billerbeck, Fotografie RW, 31.12.2016,
Fotografie gefunden im Archiv RW, am 4. Advent 2024
Gematrie
Angeregt durch einen Artikel in der FAZ über Forschungen zu Bachs Gematrie habe ich Folgendes angestellt:
Zählt man von MEINER ZAHL 23 von der 2 eins ab und zur 3 eins dazu, kommt man auf die 14 und das ist die Zahl von Johann Sebastian Bach B = 2 A = 1 C = 3 H = 8 QS: 14, zählt man noch J und S dazu, erreicht man 41. Eine Spiegelung in seinem Namen.
I = 9 S =18 B = 2 A = 1 C = 3 H = 8 QS: 41 (In Bachs Alphabet stand I und J auf demselben Platz)
14 und 41 haben beide die Quersumme 5.
IDEE = 23 QS: 5
FAKE = 23 QS: 5
Die 5 ist blau und neben der 23 meine weitere Lieblingszahl, nach anderen Deutungen eine Zahl des Bösen, und des Teufels, da sie über die 4 Buchstaben Gottes hinausgeht: JHWH. Der Drudenfuß, der fünfzackige Stern steht auch für den Menschen, siehe Vorläufer von Leonardos berühmter Zeichnung des Menschen im Pentagram: Nun – der Mensch kann zwischen Böse und Gut wählen: die Freiheit wurde uns gegeben. Die 5 ist die Freiheit.
The Fake’s Progress gründete ich in den 90er Jahren mit Louis Blank, meinem Alter Ego.
So habe ich den Buchstabenwortwert von Ruth Weber und Louis Blank ermittelt:
Ruth 18, 21, 20, 8 (= 67) QS: 13, QS1: 4
Weber 23, 5, 2, 5, 18 (= 53) QS: 8
Louis 12, 15, 21, 9, 19 (= 76) QS: 13 QS: 4
Blank 2, 12,1,14, 11 (= 40) QS: 4
Ruth und Louis sind spiegelverkehrt verwandt: 67 und 76 beide Quersumme 4
67 + 76 = 143, QS: 8
Ziemlich viele 4en und 8en… Die 8 steht quergelegt für die Unendlichkeit.
Schluss mit dem HokusPokus! Das Foto oben sieht aus wie ein Still aus einem Horrorfilm. Ich stehe bei meinen Rheinfunden in der Ausstellung in Reuschenberg, halte einen Quarzit hoch mit gekreuzten (!) Quarzadern und beginne gleich alle Steine und Scherben zu zählen. So dass ich eine Litanei aller ausgestellten Dinge aufsagen kann.
RW bei den Tischgestellen mit Rheinfunden in der Ausstellung bei Schloss Reuschenberg (zusammen mit Jan Kolata), Fotografie Myriam Thyes, invertiert von RW, im Dezember 2024
Anrufung
Zweimal hörte ich in zwei Nächten ganz deutlich meinen Namen rufen. Die Stimme war männlich, aber hell. Ich richtete mich ruckartig auf und antwortete Ja? Nichts. Ein Fehler der Wahrnehmung? Eine Interpretation eines Geräuschs durch das Gehirn?
Im Konzert konnte ich mein Gehirn, mein Bewußtsein, meine Wahrnehmung derart beinflussen, dass ich nicht auffällig wurde durch einen Laut, durch das Aufreißen des Mundes, durch eine plötzliche Wendung meines Kopfes. Ich richtete mich auf, nahm das Gesicht hoch und ließ die Musik in mein Gehör, weiter in meinen Kopf, ja durch meinen ganzen Körper strömen. Ich war gefasst.
Vor mir nahm ich eine Frau wahr, die ihren Kopf entschieden rhythmisch bewegte. Auf dem Rang rechts sah ich einen Mann, sein helles Gesicht von dunklen Locken umrahmt, der mit geschlossenen Augen lauschte. Ich sah die junge Violonistin, die in der Einsatzpause der Geigen als einzige lächelte, dem Gesang der über hundert Stimmen des großen Chors aufmerksam zuhörend.
Der Bariton schaute mich direkt an, nachdem er gesungen hatte: Siehe, ich sage euch ein Geheimnis… Er stand weit weg von meinem Platz, hinter dem Orchester, unter dem Chor – gemeint waren alle, die imstande waren zu hören.
Vor dem Konzert: Ein deutsches Requiem, Johannes Brahms, Aufführung in der Tonhalle Düsseldorf,
Fotografie RW, 22. November 24.
Verheißungen
Die steinalte Sophia hat sich vorgenommen, die Tage mit Ereignissen anzufüllen. Heute freut sie sich, sie ist mit dem Auto in die frühere Heimat gefahren, nicht über die Autobahn, sondern über die alte Landstraße, die beide Städte verbindet – ihren heutigen Wohnort und die Gegend ihrer Jugend. Mitten in der inzwischen verkommenen Stadt, in der Nähe des Bahnhofs, aber auch nicht unweit vom Museum, findet sie das Pfandleihhaus, dessen Adresse sie vorher im Web recherchiert hat. Sie betritt es durch die offene Tür, hört wie Geld gezählt wird – 1000, 1100, 1200… Eine Dame tritt an den Schalter und die steinalte Sophia trägt ihr Anliegen vor: Ich suche einen 4fach-Dukaten in 986er Goldlegierung, Durchmesser 39,50 mm, Gewicht 13,96 g, mit der Jahreszahl 1915 und Kaiser Franz Joseph recto und verso der Doppeladler. Die Dame verschwindet und kommt mit einem Exemplar wieder, das allerdings mit einem goldenen Rahmen und einer Anhängeröse versehen ist. So kann ich ihn sogar an einem Band tragen, freut sich Sophia und zeigt der Angestellten ihren Ring mit dem einfachen Dukaten, den sie am Finger trägt. Sie handelt den Verkaufspreis für den großen Dukaten noch ein wenig herunter, lässt sich Expertise und Rechnung aushändigen und geht am Park vorbei zurück zu ihrem Auto. Am Museum leuchten und laufen überlebensgroß die Projektionen mit den Runners von Julian Opie, ein seltsamer Kontrast zu den Typen, die im Park auf den Bänken sitzen und den Passanten, die zur Bushaltestelle eilen. Die steinalte Sophia schaut zum Himmel, wo zwischen schweren Regenwolken blaue Himmelspartien und Sonnenstrahlen hervorblitzen. Sie beschließt zurückzufahren in die reichere Stadt, aber wieder auf der alten Landstraße. Sie sieht die stillgelegten Straßenbahnschienen, erinnert sich, wie sie als 16jährige zur Tanzstunde fuhr. Sie sieht die wenigen schöneren Häuser, von denen es immer geheißen hat, es seien Fabrikantenvillen der Stahlindustrie. Sie sieht das Gebäude der Bowlingbahn, in das sie zum Kindergeburtstag eingeladen war. Sie denkt dankbar an ihren Vater, dankbar eine Kindheit erlebt zu haben – mit unerfüllten Sehnsüchten voller Hoffnung auf Kommendes.
Zurück in ihrer Wohnung setzt sie sich ans Rheinfenster und betrachtet den 4fach-Dukaten im Restlicht des Abendrots. Verheißungsvoll schimmert er es im Dunkeln zurück.
Abendhimmel an der Rheinallee, Fotografie RW, November 2024
Tag, Nacht, Zeit und ein Pferd
Der Himmel ist schwer von Schnee, die Dächer weiß, die Straße nicht. Schnurgerade geht sie in die Ferne und glitzert golden durch Elektrizität oder fahles Sonnenlicht. Im heiligen Tempel leuchtet es hinter den vier dorischen Säulen, als lade man zum Gottesdienst ein und vorne auf der Straße scheint die Treppe aufwärts zu führen, aber das ist ein perspektivischer Spuk. Oben rechts nah bei meinem Fenster wirft ein Balkongitter, gerade noch erkennbar, ein Herz. Ein Wintertag in Paris.
In Wirklichkeit ist es Nacht und es gibt keinen Schnee. Die festlichen Lichter der Straße führen das Auge tief bis zum dunklen Himmel über dem Horizont. Der Zebrastreifen glänzt wie eine goldene Treppe. Auf dem Dach der Kirche das hell erleuchtete Kreuz. Ich weiß, dass im Tympanon die Religion thront mit ihren Attributen Kelch und Kreuz. Darunter erkenne ich geschrieben D.O.M.SUB.INVOC.SANCTI.PHILIPPI.APOSTOLI. Einem der zwölf Apostel, Philippus, dem Pferdefreund, ist die Kirche geweiht. Ich denke an ein Gemälde von Camille Pissaro – glitzernde nasse Rue Saint-Honoré, fluchtende Straße mit vielen schwarz gekleideten Menschen, Pferdekutschen und ganz vorne beim Café mit den rotweißen Markisen sehe ich das Pferd vor seiner Droschke, es senkt den Kopf, eine Futtersack kann ich nicht erkennen. Gern nehm ich alle verstorbenen Tiere in mein Allerheiligen auf.
Paris 2024, Blick aus dem Hotel-Fenster auf die Eglise ST PHILIPPE DU ROULE und die RUE DU FAUBOURG ST HONORÉ, Fotografie RW, einmal invertiert, Februar 2024, Allerheiligen 2024
Vollmond
Am Föhntag setzt der Mond ein Großes I. Versehen mit einem runden Schleier. Das gibt eine Wetteränderung und so hängen am nächsten Tag die Wolken tief auf 800 Metern. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch bei 90 Prozent. Die Menschen atmen schwer und schwitzen schon beim Betrachten der Auslagen des Herrgottschnitzers. Auf eine Wanderung wird verzichtet, stattdessen fährt die Kabinenbahn auf kleinen Rollen und dünnen Seilen hoch auf das große Horn. Dort warten Beton und Felsen. Die Schneeplacken sind geschmolzen, Speck und Enzian auf dem Holzbrett stehen bereit.
Vollmond in Oberstdorf, Fotografie RW, 17.10.2024