Mondstein

Auf der Mappe aus feinstem Fischleder war eine Silberfassung mit einem sanft schimmernden, ovalen Mondstein angebracht. Der Silberschmied hatte die Fassung des Steins, eine Orthoklasvarietät, rundherum mit verschieden großen Zacken versehen und diese sorgfältig ausgesägt. So entstand ein unregelmäßiges Silber-Ornament mit kammartigen Verzierungen. Der Stein selbst changierte je nach Lichteinfall bläulich oder milchweiß. In der schwarzen Mappe lag das Dokument, das den Stifter und Museumsgründer mit einem Ehrenpreis der Stadt auszeichnete, verliehen durch den Oberbürgermeister im Jahre 1902.
Dem indischen Prinz gefiel der Schmuck auf der Ledermappe. Er wollte später am Abend ein Gedicht dazu verfassen. Er sammelte einige Wörter, die er dem Bot zum Fraß vorwerfen wollte:
Mondstein, Nachtlicht, Silberschmied, Zeit, Verbindung, Hand. Es gab kein Ergebnis, da das Bot-Programm überlastet war und keinen Zutritt gewährte.

Schmuckstein auf einer Mappe im Osthaus Museum Hagen, Fotografie RW März 2023

23-3-23

Dann fragte ich den Bot, ob er mir zur Zahl 23 einen Artikel schreiben könne. Sofort füllte sich Zeile für Zeile auf meinem Display. Der Bot wusste viel – von Verschwörungstheorien, von Filmen, Popsongs, die von der 23 handeln oder in denen sie vorkommt. Dass die 23 eine Primzahl ist und dass die Summe der ersten sechs Primzahlen 23 ergibt. Nach vielen weiteren Informationen brach der Bot plötzlich ab – error – und die Zeilen färbten sich rot. Sein letzter Satz lautete: In der Numerologie wird die Zahl 23 auch als eine Zahl der Veränderung und des Neubeginns betrachtet. Es wird angenommen,
Noch einmal gab ich den Befehl zum Schreiben, eine Variante wurde geschrieben, brach aber dann wieder ab bei dem Satz: Es gibt auch einen „23-Club“, der sich aus Menschen zusamm
2023 – ein Jahr mit zwölf  23-23-Tagen und ich denke an unseren Vater, der ein 23er Jahrgang war und an den Tag, als meine Mutter behauptete, 23 wäre auch ihre Lieblingszahl.

Zeitungsausschnitt von heute, Fotografie RW 23. 3. 23
Der Bot arbeitet für ChatGTP

Der Bot schreibt ein Gedicht

Heute am Tag des Gedichtes bat ich die künstliche Intelligenz, ein Gedicht zu schreiben und zwar mit den Begriffen: Rhein, Schiff, Ora et Labora, Kiesel, Ufer, Stein, Suchen, Finden. In wenigen Sekunden erschienen diese Verse auf dem Display:
Entlang des Rheins ein Schiff fährt still,
ora et labora, Arbeit ist ihr Ziel.
Die Wellen plätschern sanft im Fluss,
der Kiesel am Ufer, wie ein kleiner Genuss.

Doch die Mannschaft sucht nicht nur nach Stein,
sie suchen auch nach Ruhe und Besinnlichkeit allein.
In der Ferne sieht man Burgen und Städte,
sie passieren vorbei, wie flüchtige Bekannte.

Doch sie bleiben nicht lange auf demselben Ort,
weiter geht die Fahrt, fort und fort.
Doch irgendwann finden sie, was sie suchen,
ein Moment der Stille, um innezuhalten und zu verfluchen.

Denn die Arbeit ruft sie bald zurück,
ora et labora, das Leben ist kein Glück.
Doch der Kiesel am Ufer und der Stein in der Hand,
erinnern sie daran, dass es auch Schönheit gibt im Land.

Danach bat ich die künstliche Intelligenz ein kurzes Gedicht zu schreiben mit den Begriffen:
Achat, Rhein, Kiesel, Suchen, Finden
Nach etwas längeren Sekunden kam dieses Ergebnis:
Am Rheinufer such‘ ich Kieselsteine,
dort zwischen Sand und Achat-Steine.
Ich tauche ein in diese Welt,
und finde, was mein Herz erhellt.

Ich schäme mich – und bin doch beruhigt über die Grenzen dieses Mediums.

Hirschkopf aus Ton auf Messingleuchter, invertierte Fotografie RW, März 2023
Gedichte erstellt mit ChatGTP

Koinzidenz an der Tafel

Das ist doch nicht die Natur, die ich kenne, meint die steinalte Sophia am Morgen. Im Garten hinter dem Rheinhaus sieht sie die Gäste an der reich gedeckten Tafel. Ein Eichhörnchen springt immer wieder an die Vogelfuttergondel, um sich kopfüber die besten Körner herauszuholen. Darunter liest die braune Ente die heruntergefallenen Körnchen auf, ihren Ärger vergessend, dass der kleine Teich nun mit einem Gitter abgedeckt ist. Die großen Ringeltauben kommen dazwischen, ruckartig pickend, die Ente ignorierend. Ganz klein fliegt ein Buntfink ins Futterhäusschen, das zwischen den Ästen nah der langen Leine mit den Futtergondeln steckt. Etwas höher darüber äugen zwei schöne grüne Halsbandsittiche auf die Gondeln hinunter – sie sind mindestens genauso gute Turner wie das Eichhörnchen und werden bald seinen Platz erobern. Rundherum erblühen die Bäume oder tragen Kätzchen, zu ihren Füßen kleine goldene Glocken und violette Kelche.

Weide am Niederrhein, Fotografie RW, März 2023

So fromm die Schifffahrt

Glücklich betrachtete der indische Prinz den Ring, den er auf der TEFAF in Maastricht erworben hatte. Und zwar schon vor der offiziellen Öffnung für das allgemeine Publikum. Dieses Jahr gefiel ihm die Kunst- und Antiquitätenmesse besonders gut, nach den Coronajahren war sie exquisiter als je zuvor. Im letzten Jahr gab es einen spektakulären Juwelenraub, deshalb waren heute die Kontrollen am Eingang besonders streng. Nun – er hatte sich einen bescheidenen Wunsch erfüllt – nicht sehr spektakulär war sein neues Schmuckstück. Die Rubine waren kalibriert in eckigem Schliff, dicht an dicht in ein Band aus Weißgold gefasst. Sie hatten ähnliche Farbtöne, nur einer war dunkelrot, die anderen eher in Richtung Pinkrot. Den dunkelroten Stein nahm der Prinz als Anfangsstein, um sie zu zählen. Es waren 23 Rubine. Das schien ihm für dieses Jahr ein schönes Zeichen.
Zu Hause steckte er seine Neuerwerbung in die Schatulle mit den anderen Ringen. Mit einer Tasse Kaffee und den aus Maastricht mitgebrachten Pralinen setzte er sich ans Rheinfenster und betrachtete seine Schätze mit der Lupe. Um sein Auge zu erholen, wandte er den Blick zum Rhein und sah ein großes Schiff vorbeifahren. ORA ET LABORA. Schon vor ein paar Tagen hatte er die Namen der Schiffe VAYA CON DIOS, IMMANUEL und DEO GRATIAS notiert. Da legte er die Schmuckschatulle wieder in den Tresor und beschloss, sie mindestens 23 Tage nicht wieder herauszunehmen und einen langen Spaziergang am Rhein zu machen.

Rubinrotes Glas mit Korallen und Schlüsselanhängern, Sammlung RW, Fotografie RW, 11. März 2023




Das Motto des Rätsels

Unter dem Boden der alten Messingvase aus dem Orient, die ich heute bekam, fand ich ein undeutliches, abgeschabtes Relief. Sind es tanzende Tierwesen oder Kämpfer? Das rechte Wesen hat gefiederte Ohren und einen gefransten Schweif. In der rechten Hand hält es ein langes, aufrechtes Objekt, eine Waffe oder eine Blume? Hat das linke Wesen nicht eine Hundeschnauze mit Zunge? Der Künstler stach ein Bild unter den Boden des Gefäßes, da, wo es doch keiner sehen kann. Waren hier mythische Wesen angebracht, um die Besitzer zu schützen?
Heute Morgen fuhr ein Schiff mit dem Namen SOMNIUM VIDERE am Rheinfenster vorbei. Einen Traum kann ich deuten, wenn ich unter die Dinge schaue – so will ich das angebotene Motto lesen.

Boden einer alten orientalischen Messingvase, Sammlung RW, Fotografie RW, 9. 3. 2023

Heilung durch Zahlen 2. 3. 23

Den Platanen wurden die Triebe des letzten Jahres abgeschnitten, dabei brachen auch große Äste. Die knotigen, runden Wucherungen, das ist die Wundheilung des Baumes, haben bizarre Formen gebildet. Wie sich herausstellte, waren viele Äste innerlich rot, teils verfault, daher bei der Frühjahrspflege der Bäume mit abgefallen. Die Hitzeperioden der letzten Jahre haben die widerstandsfähigen Bäume wohl doch geschädigt. Mir gefielen die abgeschnitten Baumskulpturen, so dass ich zwei aufhob und mit nach Hause nahm. Hatte Glück, denn kurz danach wurde der gesamte Baumschnitt in kleinste Späne gehäckselt.
In den rohen Stumpf steckte ich zwei Bergkristallnadeln und drei Narrenglöckchen. Zwei weitere legte ich noch zu Füßen des Foo-Hundes  ab – denn in diesen hatte sich der Stumpf verwandelt. Der männliche Wächterlöwe oder Foo-Hund hat unter seiner Pranke eine Kugel versehen mit Glückssymbolen. Mein Foo-Hund braucht das Glück doppelt und dreifach und vertraut auf die heilende Wirkung seiner neuen Kristallohren.

«Foo Hund» Platanenholz vom Rhein bei Düsseldorf, Narrenglöckchen aus Messing und zwei Bergkristalle aus Brasilien, Fotografie RW, Sammlung RW 2. 3. 23

23-2-23

Die Rheinschiffe heißen ESCAPE – SENSATION – EMPIRE
Nach dem Platanenschnitt ist der Blick ist wieder frei. Die Schiffe fahren direkt durch meine Räume und zeigen mir mit ihren Namen, wie ich den heutigen Symmetrietag mit den richtigen Motti zu feiern habe.

«Equilibrist 23» Messingschlüsselanhänger, Ästchen, Feuersteingeode, Grünsandstein. Eine meiner Erfindungen zum Symmetrietag 23-2-23, Sammlung RW, Fotografie RW 2023

Inbrunst


Die steinalte Sophia hört ihre Vögel im großen Garten wieder singen. Vor dem Haus auf der Südseite blühen in zartvioletten Kissen die Krokusse, auch erste üppige, rosaweiß gefleckte Blüten am Kamelienstrauch sind in der Sonne aufgebrochen. Die Stieglitze turnen übermütig im hohen Lebensbaum. So dumm fragt sich die steinalte Sophia, wie kann das Schöne jedes Jahr auf’s Neue kommen?
In der vorösterlichen Zeit vor etwa zehn Jahren beobachtete sie in Brügge eine junge Konditorin. In der Hingabe und Zartheit ihres Tuns erkannte Sophia den Frühling. Und beim Betrachten des alten Fotos erinnert sie sich daran, dass sie fest vorhat, im April nach Amsterdam zu fahren, um die Spitzenklöpplerin von Vermeer zu besuchen.

Schokoladenladen in Brügge, Fotografie RW Frühling 2012

Vermeer

Der indische Prinz war zu einer der Previews eingeladen. Fernsehen, Internet und Zeitungen, Magazine und social media berichteten seit Tagen über die kommende Vermeer-Ausstellung in Amsterdam. Er genoss das Privileg, vorab in ruhiger Atmosphäre mit wenigen Fachleuten vom Rijksmuseum durch die Ausstellung gehen zu können. Die großen abgedunkelten Räume waren mit hohen Samtvorhängen versehen worden, so gelang der Blick auf die meist kleinformatigen Gemälde intimer, wie Juwelen leuchteten sie ihm an den Wänden.
Der Prinz sah all seine Lieblingsbilder wieder, war mit ihnen seit Jahren vertraut, hatte auch 1996 in Den Haag das Mauritshuis besucht, dort gab es schon 23 von den insgesamt nur 37 Bildern des Künstlers zu sehen. Im Rijksmuseum versammeln sich nun 28 Bilder, ein Ereignis, was kaum zu wiederholen ist. Ein ungeheurer Eindruck, sie wie eine geliebte Familie zusammen zu sehen, nicht chronologisch gehängt, sondern thematisch. Das Wiener Bild war nicht dabei. Aber vor De Schilderconst hatte er schon bei seinen häufigen Reisen nach Wien immer wieder mit höchster Konzentration gestanden. Die Perlenwägerin, en Vrouw met de weegschaal, aus Washington kannte er bislang nur von Abbildungen. Wunderbar genau konnte er nun zum ersten Mal die grauen und weißen Perlstränge neben den Goldketten auf dem Tisch vor der jungen Frau aus dem Halbdunkel herausleuchten sehen und das Jüngste Gericht auf dem Bild im Bild studieren.
Zum exklusiven Diner am Vorabend der Eröffnung hatte der Prinz sein offizielles indisches Gewand angelegt. Aus gelber Seide war seine Jacke, die Stickereien des Pektorale schmückten eingenähte Rubine und Diamanten. Im Zentrum des Turbans prunkte eine Agraffe mit einem blauen Saphir umgeben von Diamanten. Große Perlen hingen an seinen Ohren. Kleidung und Edelsteine hatte er nach den Farben Vermeers ausgewählt. Die Ohrgehänge trägt er zu Ehren des Meisje met de parel. Auf dieses Bild hatte er sich trotz des unsäglichen Vermeer-Merchandising-Rummels sehr gefreut. Der Blick des Mädchens, die Wendung ihres Kopfes, ihre leicht geöffneten blassroten Lippen, das Inkarnat, die Variationen von Gelb- und Blautönen, der Schmelz der Perle, die Feuchtigkeit von Augäpfeln und Mundwinkel, all das verblüffte ihn nur vor dem Original immer wieder aufs Neue.

Spiegelkugeln im Teich, Schloss Dyck, Fotografie RW 2021