Auf dem Bauch des Tigers

Diese schöne Geschichte wollte ich schon seit ein paar Tagen erzählen. In einem großen Gartengelände mit einem dunklen fließenden Wasser, braunen, aber bewachsenen Ufern gehe ich auf und ab. Unter Bäumen und Büschen, auch hohen Stauden. Dort weiden Tiere, Ziegen und Schafe mit gedrehten Hörnern und hellbraunem Fell. Große Tiger sind ebenso dort, aber in ferneren Bereichen. Ich habe Angst, dass sie näher kommen. Die Tiger sind hell und träge. Dann sehe ich einen kleinen Tiger an meinem Ufer. Er kommt auf mich zu, wie eine Katze streicht er Runde um Runde. Ich fasse Zutrauen und berühre sein Fell mit einem spitzen Ästchen. Er scheint es zu mögen und so kraule ich ihn mutig mit der bloßen Hand. Das Fell fühlt sich rau und gefettet an. Der kleine Tiger spricht oder deutet, wie er gekrault werden möchte. Er geht dann ins morastige Wasser, taucht wieder auf und legt sich in einiger Entfernung auf den Rücken. Ob er auch auf dem Bauch gekrault werden will? Das Bauchfell ist aschweiß und ich sehe darauf viele bunte Edelsteine in hellen Farben leuchten, die das Tier im Wasser aufgefunden hat. Sie blieben beim Auftauchen im Fell haften. Er deutet an, dass wir (meine Schwester ist plötzlich auch hier am Fluß) davon nehmen dürfen, soviel wir wollen. Das Edelsteinsammeln ist hier im Land verboten, wie ich weiß. Die einzige Ausnahme ist jedoch das Klauben vom Bauch eines Tigers. Ich betrachte die Steine genauer. Es sind Turmaline von Grün bis Rosa, klare Bergkristalle und taubenblutrote Rubine. Ich verstecke meine Ausbeute in der Kleidung. Meine Schwester hat nur drei Steine in ihrer Handfläche – eine dunkelgrüne Turmalinnadel mit Zwillingskristall, einen Rubin und eine Quarznadel. Das Bild ist mir noch so deutlich vor Augen.

Im japanischen Garten Düsseldorf, digital bearbeitete Fotografie RW Mai 2024