Um drei Minuten nach Mitternacht fiel mir ein Satz in englischer Sprache zu: God sent me a clasp of a lion. Ich schrieb ihn auf und ließ ihn am Morgen mit KI übersetzen. Gott schickte mir eine Löwenspange. Ein altertümliches Wort dieses clasp? Es steht auch für Klammer, Verschluß, Haken oder Vibel. Wenn ich aber schreibe: God send me a clasp of a lion, hört es ich an wie ein Gebet: Gott sende mir eine Löwenspange. Ich glaube aber, es war die Vergangenheit sent, die mir zufiel. Das Wort clasp gefällt mir so sehr und ich wusste nicht, dass ich es in meinem Wortschatz hatte. Der August, mein Geburtsmonat, gehört zum Sternzeichen Löwe. Ich übersetze den mir zugefallenen Satz anders als KI: Gott sandte mir einen Löwenanteil. Danke.
Der Bademantel des Vaters
Das blonde Kind erinnert sich nicht mehr an das Strandleben auf Spiekeroog oder war es Grömitz? Es ist hier etwa 2 Jahre alt. Es hat im Sommer Geburtstag und einmal bekommt es an der See auch einen kleinen Mecki geschenkt, da ist es sehr glücklich. Der Vater und die Mutter haben seit seiner Geburt Fotografien von Tagen, Wochen und Jahren gemacht. Jedes Kind der Familie bekommt ein eigenes Album. Es gibt darüber hinaus ein Sommeralbum, auf dessen Seiten auf schwarzem Karton nicht nur die Fotografien des Vaters aufgebracht, sondern auch mit weißem Kreidestift Orte und Ereignisse mit Mutters sorgfältiger Schrift aufgeschrieben wurden. Zwischen den einzelnen Seiten ist jeweils ein Seidenpapier mit erhabenem Spinnenwebmuster eingebracht. Das gefällt dem Kind schon früher sehr. Es legt stets die Seidenblätter vorsichtig um, so dass nichts zerreißt und man die nächste Seite gut betrachten kann. Das Album muss heute bei der jüngeren Schwester im Keller liegen, die erst Jahre nach diesem Sommer geboren wird. Wir wollen die Fotografien endlich wieder betrachten. Manchmal können wir nicht mehr unterscheiden, was wir selbst erinnern und was wir von den Fotografien kennen. Der grünweiß gestreifte Bademantel des Vater, der über dem Strandkorb hängt, exixtiert nach fast siebzig Jahren immer noch in der Familie.
Urlaub an der See, circa 1954, Fotografie Archiv RW, 13. August 2024
Leuchten am Rhein
Wir fahren auf der alten Landstraße vorbei an üppigen Bäumen und reifen Feldern. Am Rand die Wegwarten himmelblau, dazwischen Habichtskraut, Ackersenf und Rainfarn – goldgelbe Sonnenflecken. Der Himmel war seit Tagen schon grau und grau, aber es regnet heute nicht. Das ist heimatlich und familiengleich. Das kenne ich. Solche Sommer kenne ich. Es wuchert und wächst. Auf dem Friedhof streiten wir ein wenig. Rupf ich das Efeu ab und lasse den Huflattich stehen? Ich werfe beides auf den Kompost. Sechs Sommer ohne die Eltern, die die Namen – besonders die Mutter – der Pflanzen kannten.
Im Nachbardorf setzen wir uns in den Wirtshausgarten hinter der kleinen Kirche. Von hier aus können wir den Rhein sehen. Die Wirtin im weißen Kittel grüßt knapp mit einem Lächeln. Der große alte Kellner muss sich unter den Platanen bücken, als er uns die Speisen und das Glas Riesling bringt. Eine Mücke lässt sich auf meinem Oberarm nieder und will durch die Wolljacke stechen. Ich bemerke aber rechtzeitig einen winzigen Schmerz und jage sie fort, bevor sie an mein Blut kommt. Wir schauen uns an und lassen uns hier Zeit, bestellen sogar noch Apfelkuchen, Erdbeeren, Sahne und Eis zum Nachtisch.
Das Geburtstagsgeschenk, ein geschnitzter, chinesischer Karpfen aus Labradorit auf glaublauem Achat und Chalzedon, Sammlung RW, Fotografie RW 3/4. 8. 2024
Unsichtbar im Dickicht
Abseits der Wege finden die drei Freunde ein gutes Stück Wald, es sieht unberührt aus, sich selbst überlassen. An einer Stelle riecht es intensiv nach Holunder. Sie erkennen Farn, Sumpfzypressen, Buchen und Ahorn. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, alles scheint zu dampfen. Jetzt regnet es nicht und die Wetter-App zeigt 23 Grad. Die heftigen Regenfälle des vergangenen Tages sehen sie aber dem nassen Boden an. Viele blauschimmerne Libellen kommen vom nahen Gewässer bis hierher und verschwinden im Grün des Waldes.
Die Freunde nehmen sich an die Hand und folgen mit den Augen dem überwachsenen Weg, der sich durch das kleine Tal verliert. Wir kehren um, sagen sie sich, wir wissen nicht, was uns dort hinten erwartet. Doch der älteste verabschiedet sich, geht langsam, jeden Schritt abwägend, durch die tiefe Sohle des Tals, bis er in den hundert Grüntönen des Dickichts unsichtbar wird.
Waldstück im Park von Schloss Dyck, Fotografie RW, 22. Juli 24
Unwahrscheinlich
Der indische Prinz ist zu einer Hochzeit nach Mumbai eingeladen. Es heiraten die Sprößlinge international vernetzter Unternehmerfamilien, deren Reichtum unvorstellbar ist. Ein ganzes Stadtviertel wird abgesperrt, man feiert mindestens 10 Tage lang nach indischem Ritus im eigenen Stadtpalast, der aus mehreren Gebäuden besteht, abgeschirmt durch Sicherheitsbeamte, Zäune und Mauern, die an die nahegelegen Elendsviertel grenzen. Blütenmeere, Kristalllüster, Pfauenwagen, hunderte von reich geschmückten Gästen, angesehene Familien, Influencer, Sportler, Schauspieler, Sänger und Sängerinnen. Der Prinz weiß nicht, wo er die Augen lassen soll. Der dickliche Milliardärsbräutigam reitet an einem Tag auf einem weißem Pferd in die Hallen, an einem anderen werden ihm zwei zarte, mit farbigen Bändern behangene, weiße Kälber vorgeführt. Das Brautpaar wird mit Öl gesalbt, mit Henna bezeichnet, mit Blüten beworfen. Es werden Haarknoten geflochten und die Gesichter mit roten Punkten versehen. Der Bräutigam trägt Ketten mit zentimetergroßen Perlen und Smaragden. Die Braut einen Kragen aus Diamanten, von Stirn und Nase hängen weitere glitzernde Steine. Die Roben des Brautpaars wechseln mehrfach an Tag und Abend. Für alle anwesenden Gäste wird ein Laufsteg vor rosa Seidentapeten in Laubengängen aufgebaut, hier posieren sie für die Kameras und führen ihre Kleider vor. Der indische Prinz hält sich aus dem Blitzgewitter heraus, läßt sich aber doch überreden, auf den Laufsteg zu gehen. Er trägt sein Lieblingsgewand in blassgrüner Seide, der knielange Sherwani aus einem Seidenbouclé mit Brillantknöpfen, die Dhoti Pluderhosen aus knisterndem Seidentaft. Dazu hat er die vierteilige Brosche aus dem Nachlass seiner Urgroßeltern angelegt. Sie stellt eine große Rosenblüte dar, darum drei Libellen im Flug, alles mit Rubinen, Smaragden und Brillanten ausgeführt. Der Prinz weiß, dass die Familie des Gastgebers 50 armen Brautleuten eine kostenlose Hochzeit geschenkt hat. Sind damit die 10 Milliarden, die für die Hochzeit veranschlagt worden sind, ausgeglichen? Allein schon die Gagen für die prominenten Showstars, munkelt man, hätten pro Auftritt bis zu 10 Millonen Dollars gekostet.
So unwirklich alles wie unbegreiflich dies – und es ist kein Märchen – in meinem Kopf herumbraust, während ich hier schreibe.
Porzellanvase mit bemaltem Keramikkopf und Glasaugen, 1995/2024, Fotografie RW 15. Juli 2024, Sammlung RW
Farbenaufstellung
Die steinalte Sophia beschäftigte sich mit dem Phänomen der künstlichen Intelligenz. Folgende Wörter, zum Teil selbst erfundene, gab sie der KI zur Aufgabe. Sie zählte sie auf und verlangte nach dazu passenden Bildern:
Rotköpfchen, Blauköpfchen, Goldglocke, Türkisnugget, Rotwachs, Farblosglas, Bronzetierchen, Silbertierchen, Blauväschen, Silberglasur, Blauweißglasur, Himmelblauglas, Opalquarz, Katzengold, Marzipanköpfchen, Amethystviolett, Rotgoldmedaillon, Goldmessingplakette, Farblosquarz, Ohrenringrosa, Violettschillerspitze, Goldtombak, Sandfarbenscheibchen.
Über das Bild, was erzeugt wurde, wunderte sie sich nicht. Alles hatte sie so erwartet, wie es erschien.
Zufällige Aufstellung im Atelier zur Vorbereitung einer Einladungskarte, Fotografie RW 8. Juli 2024
Wie kann das sein
dass die Zeit so fliegt, die angefüllten Tage so einfach vergehen, die Träume sich so intensivieren, als gehörten sie mitten in die erlebten Tage hinein?
Die Mauersegler – neulich versprach ich mich und sagte Sauermäkler – wir lachten beide und nahmen es als geflügeltes Wort – fliegen in den letzten drei Tagen so oft und zu so vielen auf die Lücken zwischen Dach und Mauer zu, dass ich glaube, sie üben schon mit ihren Jungen das Einfliegen, das Orientieren, das Wiederfinden für das nächste Jahr. So befürchte ich, dass sie nun schon früher ins Winterquartier starten, sind sie nicht auch früher gekommen? Ich fotografiere und filme ihre rasanten, akrobatischen Flüge, höre ihr schrilles Rufen in der warmen Sommerluft. Kindheitserinnerungen.
Mauersegler, apus apus, der Segler, in Düsseldorf, Fotografie RW, Juni 2024
Auf dem Bauch des Tigers
Diese schöne Geschichte wollte ich schon seit ein paar Tagen erzählen. In einem großen Gartengelände mit einem dunklen fließenden Wasser, braunen, aber bewachsenen Ufern gehe ich auf und ab. Unter Bäumen und Büschen, auch hohen Stauden. Dort weiden Tiere, Ziegen und Schafe mit gedrehten Hörnern und hellbraunem Fell. Große Tiger sind ebenso dort, aber in ferneren Bereichen. Ich habe Angst, dass sie näher kommen. Die Tiger sind hell und träge. Dann sehe ich einen kleinen Tiger an meinem Ufer. Er kommt auf mich zu, wie eine Katze streicht er Runde um Runde. Ich fasse Zutrauen und berühre sein Fell mit einem spitzen Ästchen. Er scheint es zu mögen und so kraule ich ihn mutig mit der bloßen Hand. Das Fell fühlt sich rau und gefettet an. Der kleine Tiger spricht oder deutet, wie er gekrault werden möchte. Er geht dann ins morastige Wasser, taucht wieder auf und legt sich in einiger Entfernung auf den Rücken. Ob er auch auf dem Bauch gekrault werden will? Das Bauchfell ist aschweiß und ich sehe darauf viele bunte Edelsteine in hellen Farben leuchten, die das Tier im Wasser aufgefunden hat. Sie blieben beim Auftauchen im Fell haften. Er deutet an, dass wir (meine Schwester ist plötzlich auch hier am Fluß) davon nehmen dürfen, soviel wir wollen. Das Edelsteinsammeln ist hier im Land verboten, wie ich weiß. Die einzige Ausnahme ist jedoch das Klauben vom Bauch eines Tigers. Ich betrachte die Steine genauer. Es sind Turmaline von Grün bis Rosa, klare Bergkristalle und taubenblutrote Rubine. Ich verstecke meine Ausbeute in der Kleidung. Meine Schwester hat nur drei Steine in ihrer Handfläche – eine dunkelgrüne Turmalinnadel mit Zwillingskristall, einen Rubin und eine Quarznadel. Das Bild ist mir noch so deutlich vor Augen.
Im japanischen Garten Düsseldorf, digital bearbeitete Fotografie RW Mai 2024
La beauté de la fleur
Quelle beauté la nature a inventée ici ! La fleur s’appelle Astrantia. Je ne sais pas comment exprimer mon admiration pour cette grâce et cette beauté. Cette fleur a tellement de détails raffinés. Et caché dans la fleur, il y a un petit pou. Qui l’a vu ? J’ai ressenti le besoin d’écrire en français, car la fleur est aussi élégante que cette langue. J’ai trouvé un poème de 1729 sur cette belle fleur. Albrecht von Haller l’a observée dans les Alpes. Le poème ne sera évidemment pas traduit en français.
„Dort wirft ein glänzend Blatt, in Finger ausgekerbt,
auf einen hellen Bach den grünen Widerschein.
Der Blumen zarter Schnee, den matter Purpur färbt,
schließt ein gestreifter Stern in weißen Strahlen ein.“
Albrecht von Haller, 1729
Große Sterndolde im Garten meiner Schwester, Fotografie RW, 13. Juni 2024, mein Text wurde ins Französiche übersetzt mit KI-Assistent Deepl.
Bilder sehen und gehen
Am Meer wird der Himmel groß. So wie das Foto mit Weitwinkel und Farben übertreibt, kann es doch das Erlebnis der Wirklichkeit niemals erreichen. Aber es kommt dem nahe. Wie ich mich erinnere, war der Himmel weit und hoch, aber nicht ganz so ultramarin. Die Dünen schienen mir näher und viel höher, das Meer größer und wilder. Der Weg am Strand entlang von Bergen aan Zee bis Egmond aan Zee dauert etwa eine Stunde, bei Gegenwind etwas länger. Schritt für Schritt erobere ich mir die Strecke, die Dinge in der Ferne kommen nur ganz langsam näher. Meine Schrittlänge halte ich klein und gleichmäßig, so dass der Rhythmus stimmt. Mit dem Atmen und dem Herzschlag gehe ich konform.