Der schöne weiße Esel

Da grast der Asino bianco seelenruhig in der Wintersonne. Ob er von der Isola Asinara, der unheimlichen Gefängnisinsel vor Sardinien stammt, ist ungewiss. Hier gibt es noch ein Vorkommen weißer Esel. Vielleicht ist er auch ein Österreicher, ein Verwandter des Albino-Barockesels aus dem Burgenland. Das würde ja passen, denn hier steht er auf Burg Schnellenberg, hoch über Attendorn im Sauerland. Der Esel gefällt mir gut. Er erinnert mich an die Märchen der Gebrüder Grimm. Bei den Bremer Stadtmusikanten ist der Esel der ideenreiche Wortführer und sagt zum Hahn: «Ei was, du Rothkopf, … zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas besseres als den Tod findest du überall; du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musicieren, so muß es eine Art haben.»
Die vier alten, vom Menschen nicht mehr gewollten, unnützen Tiere machen sich zusammen auf den Weg und nur in der Gemeinschaft können sie sich in der Fremde ein neue Bleibe schaffen. Sie verjagen als Monstrum compositum aus Esel, Hund, Katze und Hahn ein paar üble Gesellen aus deren Unterkunft und machen es sich im Räuberhaus gemütlich. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Fotografie RW, Winter 2015, Attendorn, Burg Schnellenberg
http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/grimm_maerchen01_1843

Lenz, Spring, Primavera

Die neuen Tage lenzen.
Es sprießt und springt schon jetzt,
zu sonnig blau zu glänzen!
Der zweite Mond versetzt.
VERENA, SHAMROCK – fahr’n nach Osten,
dreh’n dann flußabwärts in den Westen.

Schneeglöckchen, gesehen gestern am Rhein, km742,
Zwei schöne Schiffsnamen von heute;

Die Fünf ist blau

Die Zahl 5 ist blau, die 2 ist grün und die 3 ist blassrosa.
Der Buchstabe A ist orangerot,  das B gelb und das R graurosa.
Die 1 ist grau, die 7 blaugrau, die 8 braunorange.
Das W ist grün, das U violettrosa, das T ist blau.

Was weiß ich denn von Synästhesie? Bei mir stellen sich die Farben beim Nennen von Zahlen und Buchstaben wie von selber ein. Nicht sehr leuchtend und auch bei manchen Zahlen schwächer und mit grau gemischt.

Das V ist lodengrün, das C weißgelb, das H wieder grün.

Wenn die Zahlen aus mehreren Ziffern bestehen, wird es schwierig, auch ganze Wörter können nicht wirklich farbig sein. Die 23 aber ist rosagrün.

Das Q ist gelbgrau, das E rosa, das P milchkaffeegraubraun.
Das N schilfgrün, das L metallischblaugrau, das K wieder stahlblau.
Das D weißgelb, das F schwarzweißgrün, wie auch der Name Fritz.

Kyanit oder Disthen, ein Aluminium-Silikat, Fundort Binntal, CH, Sammlung RW

Alle lieben Rembrandt

Auf diesem Blatt Die Landschaft mit den drei Bäumen von 1643 hat Rembrandt den hohen Himmel, Licht und Wetter, Bäume und Büsche, Weiden und Vieh dargestellt. In der Ferne sieht man die Gebäude der Menschen, in der Nähe angeln zwei Personen, andere fahren in einem Wagen, einer betrachtet oder zeichnet gar die Landschaft. Verborgen ist aber auch ein Paar, das sich geschützt im Dunkel des Dickichts einander zuwendet. Diese wunderschöne Radierung habe ich schon 2006 in Kassel gesehen, als es dort eine Ausstellung zu Rembrandts Landschaften gab. (Mit Katalog) Auch auf meinem zweiten Lieblingsblatt, der Radierung De Omval, 1645, verbirgt sich ein in den Büschen sitzendes Liebespaar. Man möchte mehr über diesen Einfall des Künstlers wissen. Nur auf den dritten Blick sind die Paare zu sehen.
Seit dem letzten Wochenende zeigt das Rijksmuseum in Amsterdam zum 350 Todesjahr des Künstlers Alle Rembrandts – de tentoonstelling van het jaar!
Auf der Website des Museums kann man die Werke Rembrandts schon vor dem Besuch bis ins kleinste Detail studieren. So auch de drie bomen und de Omval, in die man sich stundenlang vertiefen möchte und so lange die Liebespaare suchen, bis man sie gefunden hat.

https://www.rijksmuseum.nl/nl/collectie/RP-P-OB-270
http://hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.36470

Was ich kann

Ich kann am Meer spazieren gehen,
ich kann die auf einer ägyptischen Sandrose drapierte Pastete essen,
ich kann in die Sonne blicken,
ich kann einen 21 Jahre alten Wein zum Dessert trinken,
ich kann weder in die Zukunft noch in die große Weite schauen,
ich kann ein neues Auto steuern,
ich kann eine Frühlingssuppe nach dem Rezept der Mutter kochen,
ich kann den Actus tragicus von Bach hören,
ich kann meinen Puls fühlen,
ich kann im Dunkeln die Positionslampen der Rheinschiffe sehen.

Fotografie vom 16. Februar bei Egmond aan Zee, Noord-Holland

Frühlingsküsse

Die Sonne scheint drei Tage lang und schon blühen die Krokusse mit ihren zarten violetten Sternchen zu Hunderten rund um die alte kleine Kirche von Schoorl und bestimmt auch anderswo! Angeblich gibt es 235 Arten dieser Pflanze (23 und 5, unsere Lieblingszahlen!). Der Safran (Crocus sativus) gehört zu den kostbarsten. Der aromatische Duft und die schöne gelbe Farbe der Safranfäden sind unverzichtbar im Risotto Milanese, in der Paella, in der Bouillabaisse. Und früher sagten wir auf: Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen. Wer will guten Kuchen backen, der muss haben sieben Sachen. Eier und Schmalz, Zucker und Salz, Milch und Mehl, Safran macht den Kuchen gehl!

Krokusblüten in Schoorl, Nordholland, gestern im Nachmittagslicht

Teufel im Detail

Was zerrt der Platanenteufel mit seinen Klauen am Abendhimmel über dem Rhein herum? Dabei ist so präzis eine goldene Kontur am Wolkenrand gezeichnet, so schön der Lichtkegel darüber gesetzt worden. Nein, er muss noch eine Wolke darüber blasen, um mit seiner Zutat das Schauspiel zu krönen.

Gesehen gestern Abend an Kilometer 742

Kein Hauch

Nach einem stürmischen Wochenende ist der Rhein heute Morgen so glatt und ruhig, als wolle er ein stehendes Gewässer vortäuschen. Ist das nur der Fall, wenn es fast windstill ist oder der Wind aus einer bestimmten Richtung bläst? Heut ist er kaum spürbar und kommt aus dem Westen. Ich meine, der Fotograf Andreas Gursky hätte einmal im Zusammenhang mit seinen Rheinbildern gesagt: Nur bei Ostwind ist der Rhein so glatt. Nun – vielleicht ist nicht die Richtung wichtig, sondern, von welchem Winkel aus der sehr schwache Wind auf die Wasseroberfläche trifft und die Wellen gleichsam mit dem Strich glättet. Oder von welchem Ufer aus man beobachtet? Die Fließgeschwindigkeit spielt sicher auch eine Rolle. Das Phänomen hält auch nicht lange. PROMESSA fährt gerade vorbei gefolgt von NEVADA und PRONTO kommt ihnen entgegen – die Schiffe sind jetzt wieder von deutlichen Wellen umgeben, die zügig Richtung Holland fließen.
Weil die Platanen am Rheinufer vorgestern beschnitten wurden und damit die Sicht auf den Fluss wieder ganz frei ist, fällt es leicht, ein bisschen über das Wasser nachzudenken.

Ich habe die Essays und Gedichte von Adam Zagajewski für mich entdeckt. Ich liebe seine Beobachtungen und seine «Poesie (ist Suche nach Glanz»). Ich empfehle sie weiter. Zum Beispiel in «Die kleine Ewigkeit der Kunst» und «Asymmetrie». Beides Carl Hanser Verlag

Obere Fotografie vom Samstag, untere von heute Morgen gegen 9.30 Uhr.