Zwei Tauben

Zwei Ringeltauben im blühenden Baum,
erwarten im Sommer die Kirschen,
im Herbst das rote Laub,
im Winter die Schneehauben und den Raureif.
Ihr Rufen und Gurren
bleibt verläßlich im Jahreskreis.

Vor einem Jahr im März
stand die Zeit still.
Die Hierarchie wurde geändert.
Das Obere kam nach unten.
Das Junge vor das Alte.

Sommer, Herbst, Winter und Frühling.

Blühende Zierkirsche im hinteren Garten, Fotografie RW, 2010

Apfelblütenstecher

Faszinierend ist es nicht nur, alte Bücher zu entdecken, sondern auch, darin die Spuren seiner ehemaligen Besitzer zu finden. Notizblättchen, Rechnungen, Zugbillets, Eintrittskarten, Heiligenbildchen, Reklamezettel. Hier im alten Volks-Brockhaus von 1930 eine rätselhafte Aufstellung von Ja-Nein-Möglichkeiten. Einmal Nein und fünfmal Ja. Die Notizen in Sütterlin kann ich nicht ganz entziffern. Auf jeden Fall gefällt mir, dass die 2 und die 3 in Kästchen hervorgehoben wurde.
Ein Beitrag zum heutigen 23. des Monats März.

Der Volks-Brockhaus A-Z, 1930, aus dem Besitz der Großeltern, 2018

Suiseki

Erlebnis bei Freunden
In einem schönen Schränkchen mit kostbaren asiatischen Gefäßen sah ich im Dunkeln einen Stein schimmern. Ich erkannte sofort, dass es ein Scholar’s Rock war. Sui und Seki, 水石 Wasser und Felsen, zwei Elemente, die sich in einer winzigen Welt treffen, aber die ganze Welt meinen. Hier war es ein Chrysanthemenstein, Coelestin und Calcit in bitumenreichem Kalkstein. Blumen, die im dunklen Stein aufblühen, sich radialstrahlig in netzartigen Kreislinien ordnen, nicht einfach weiß, sondern auch mit rötlichvioletten Färbungen (vielleicht Mangan). Kleiner Gelehrtenstein – sitzt passgenau auf einem geschnitzen Holzsöckelchen. Er kam aus Kyōto und nun in meinen Besitz. Seinen Ehrenplatz hat er in meiner Kunstkammer verdient.

Suiseki-Chrysanthemenstein, entdeckt in der basedonart gallery, Düsseldorf,
jetzt Sammlung RW, 2019

Zweimal Frühling

Mit Zitterkrönchen geschmückt sind die Blütendiademe.
Schimmernde Perlen fallen aus den Wolken,
um auf dem Boden in kleine Ordnungen zu rollen.

Blühender Baum in Kempen, Niederrhein, Fotografie RW, 18. 03. 2019
Hagelschauer auf dem Friedhof, Duisburg, Fotografie RW, 17. 03. 2019

Leer

Leer
Hellblaues Schimmern, da wo ein warmer Holzton war.
Weißes Leuchten, da wo es immer dunkel war.
Aus dem Kamin glüht ein Licht
bis in das kalte Hell der Ofenkacheln.
Leerer Teppichboden,
kein Schreibtisch,
kein Sofa,
ein Türrahmen.
Anderswo füllen wir auf – Treue, Freude und Kostbarkeiten.

Leergeräumt, invertierte Fotografie RW , 2018

Korrespondenzen XXIX

Blaue Schönheiten
Mit Kobaltblau und einem feinen Pinsel hat der Porzellanmaler einen Vogel auf den Scherben aufgetragen. Er zeichnete unter den Schnabel einen Kringel in das Gefieder, für europäische Augen ein großes G. Umgeben von Chrysanthemen, Gräsern und  Blättern sitzt der Vogel bei einem skelettierten Stein, der sich wie ein Bogen öffnet. Der Bildausschnitt zeigt nicht die ganze Pracht des Tellers. Neben Chrysanthemen findet man noch andere Blumen, Kirschblütenzweige, Felsen und Wasser. Der Porzellanmaler arbeitete vor circa dreihundert Jahren sicher und routiniert an dem Dekor, wie viele Teller an einem Tag er wohl bemalte? Vielleicht sogar in einer Manufaktur in Jingdezhen? Auf der Rückseite des Tellers hat er mittig ein schönes Schriftzeichen angebracht und noch weitere Blumenranken auf den Rand.
Im Rijksmuseum in Amsterdam finden sich zwei Fayence-Teller mit fast identischem Dekor, vereinfacht zwar, aber alle Motive sind da. Sie sind etwa zur gleichen Zeit (1685 – 1710), aber in Delft entstanden. Die Niederländische Ostindien-Kompanie hatte mit ihren Schiffen die Porzellane aus China mitgebracht. Die Dekore wurden von den Delftern kopiert, aber auf Irdenware. Erst 1708 hat Böttger das Porzellan in Dresden entwickelt. Die Chinesen kennen es schon mindestens zwei Jahrtausende.
Die Tulpe war einst ein exotisches Gewächs aus dem Osmanischen Reich und später hat bekanntermaßen der Handel mit ihrer Zwiebel in den Niederlanden des sogenannten Goldenen Zeitalters zu großen Turbulenzen geführt.
Die oben abgebildete Tulpe hat ihre Pollen wie ein kostbares Pigment auf dem Blütenblatt ausgeschüttet. Vielleicht sollte man damit einmal malen.
Für meinen Bruder GJMW, der in diesen Tagen Geburtstag feiert.

Porzellan-Teller (Detail) mit blauer Unterglasurmalerei  aus der Kangxi Zeit, Sammlung RW, 2019, erworben in der basedonart gallery, Düsseldorf
Tulpe mit Pollen, invertierte Fotografie RW, 2018

Luxus

Dieses Jahr fliegen wir nicht mit dem Privatjet nach Maastricht, es soll stürmisch bleiben. Wir lassen uns direkt von zu Hause aus mit dem personal shuttle der Messe abholen. Wir werden die Duchess of Cornwall und den Prince of Wales treffen, mit denen wir die Vorliebe für Kunstkammerobjekte teilen. Bei einem Händler aus München werden wir sicher fündig. Hier möchten wir uns ein elfenbeinernes Tödtlein in einem Sarg aus Ebenholz kaufen. Leider werden die kostbaren Juwelen eines Händlers aus London diesmal nicht auf der Messe zu sehen sein. Wir erinnern uns, vor Jahren dort in der Étalage einen wunderbaren Ring gesehen zu haben mit einem zitronengelben, im Princess Cut geschliffenen Diamanten, von mindestens 23 Carat. Etwas nachdenklich schauen wir in der Vorschau zur Messe auf ein Gemälde, vielleicht von Philippe de Champaigne, abgebildet ist eine, prächtig in Gold und Blau gekleidete, junge Frau, die mit der rechten Hand Juwelen und Medaillen hoch hält und ihren linken Arm auf einen gutmütigen Löwen stützt. Es soll die Allegorie der Großzügigkeit sein. Für welche Bedürftigen die Kostbarkeiten aber gedacht sind, ist auf dem Bild nicht zu sehen. Eher eine Allegorie des Reichtums und der Macht.

Maastricht, digital deformierte Fotografie RW, 2010/2019

Truth

Lichtbild und dunkler Spiegel.
Vögel zeichnen Wellenkräusel
in den Wassergraben der Königsallee.
Acht wunderbare Stimmen
haben Palestrina gesungen
und Anima Nostra von
Claudio Merulo.
Einen Steinwurf weiter
in der Johanneskirche.

Wasserspiegelung an der Kö, Düsseldorf, Fotografie RW, 2019

Schiffsnamen


LAUS DEO fährt Richtung Basel.
Warum haben die Schiffe so fromme Namen?
Sicher, damit mir die richtige Antwort einfällt
im Gespräch mit der alten Tante,
die klagt: Ach, wär‘ alles schon vorbei!

MONDEO
LAUS DEO
CARITAS II
CURA DEI
DEO GRATIAS
IMMACULATA
DEO JUVANTE
PELEGRIM
VAYA CON DIOS
VERA CRUZ

Die Heiligen und Erzengel,
wie JACOBUS und RAFFAEL
lass‘ ich erst mal links liegen.

Schiffsnamen, beobachtet am Rhein, Kilometer 742
Siehe auch auf ruth23weber.de unter der Kategorie Wort, Wortsammlungen,
Rheinufer, Fotografie RW, 2018