Judiths Ohrring

Judith hat Holofernes brutal den Kopf abgeschlagen, dabei trug sie (nach Lorenzo Lotto, 1512) zierliche Ohrringe, behängt mit Rubin, Perle und Saphir. Blau steht für die Treue, Weiß für Unschuld und Rot für die Liebe. Alles falsch, hier war keine Liebe, schon gar keine Treue und Unschuld. Es war List, Betrug und Täuschung. Sie macht ihn betrunken und blendet ihn mit Schönheit und Pracht. Klug soll sie auch gewesen sein, ihre Ziele wohl edel – durch den Mord an dem grausamen Feldherrn rettete sie ihr Volk vor Raub, Totschlag und Brandschatzung. Das Buch Judit, 12,15.

Gesehen in der Ausstellung «Tizian und die Renaissance in Venedig», Städelmuseum Frankfurt, noch bis zum 26. Mai, Detail aus Lorenzo Lotto, «Judith mit dem Haupt des Holofernes», 1512, Rom, Banca Nazionale del Lavoro, Gruppo BNP Parisbas, Fotografie RW 2019

Ordnung, Winkel und Maß

Die fünf Platonischen Körper, hier etwas grob aus Bergkristall geschnitten, sind seit langer Zeit unsere favorisierten Anschauungsmodelle. Es sind aus deckungsgleichen, regelmäßigen Flächen zusammengesetzte, konvexe Polyeder. Nur fünf Körper überhaupt erfüllen diese besonderen Eigenschaften.
Der Hexaeder mit sechs Quadraten als Seitenflächen,
der Tetraeder mit vier Dreiecken als Seitenflächen,
der Oktaeder mit acht Dreiecken als Seitenflächen,
der Pentagondodekaeder mit zwölf Fünfecken als Seitenflächen,
der Ikosaeder mit zwanzig Dreiecken als Seitenflächen.
Seit der Antike von Mathematikern und Philosophen beschrieben, haben die fünf uns auch deswegen fasziniert, weil die Minerale Pyrit, Fluorit, Granat und auch der Kohlenstoff (Diamant), als Vertreter des kubischen Kristallsystems solche Körper bilden. Nie so perfekt wie auf dem Reißbrett, aber doch erstaunlich regelmäßig. Siehe dazu auch unsere Blogbeiträge Natura naturans – non manu factum vom 26. Februar 2018 und Polyeder vom 8. November 2018.
Es macht Vergnügen, die althergebrachte Entsprechung der Platonischen Körper zu den vier Elementen und dem Kosmos nach der Gestaltäquivalenz zu beurteilen.
Der Würfel, Hexaeder, steht mit dem Quadrat als Grundfläche fest auf dem Boden, deshalb versinnbildlicht er die Erde.
Der Ikosaeder wirbelt herum mit seinen vielen Flächen, seine Kleinteiligkeit hat etwas Liquides, also steht er für Wasser.
Der Tetraeder erinnert in seiner Form an eine Flamme, symbolisiert das Feuer.
Der Oktaeder tänzelt auf seiner Spitze, verjüngt sich nach oben und unten, hat etwas Unstetes, die Luft.
Der Pentagondodekaeder für den Kosmos hat als Seitenfläche das Fünfeck. Im Pentagon findet man die Sectio Aurea und den Vitruv-Leonardo-Menschen (hier ist die Schöpfung verborgen). Und das zwölfmal – erinnert an die Jahresordnung.

Die fünf platonischen Körper aus Bergkristall, Sammlung RW,
invertierte Fotografie RW 2019,

Malstrom

Wir freuen uns auf Sonntag, da machen wir einen Ausflug ins niederrheinische Kranenburg. Dort wird im Museum Katharinenhof die Ausstellung Malstrom von Jan Kolata eröffnet.

www.museumkatharinenhof.de, 12. Mai bis 30. Juni 2019
Fotografie RW, 2019

Korrespondenzen XXXI

Wir wandern über den gepflegten Rasen zwischen Akeleien mit prallen Himbeerblüten, himmelblauen Vergissmeinnichtpolstern, Lackmus-farbenen, gefüllten Tulpen und deren weißen, hohen, spitzigen Verwandten, mitten drin begegnen wir Sträußchen von Tausendschön oder Maßliebchen. Dazu tragen wir den speckigen Filzhut des Onkels, der ihn vor Jahrzehnten mit einer dreifachen Krone aus glänzenden Blechtrophäen schmückte. Hurrah und Juchhei!

Frühlingsblumen am Corneliusplatz, Düsseldorf, Fotografie RW 2019
Wanderhut des Onkels SG,
Fotografie RW 2019

Das Glück des Finders

Am 9. Januar des Jahres habe ich an dieser Stelle von einem wiederkehrenden Traum erzählt: Dem Auffinden von besonders schönen klaren Kristallen im Erdreich.
Nun waren wir im Mai erneut unterwegs. In einem verlassenen Steinbruch konnten wir ohne große Mühe, lediglich ausgerüstet mit Geologenhammer und Spitzhacke, einige mit Sand und Lehm gefüllte Gänge freilegen, als hätte ein eiszeitlicher Flusslauf Sedimente in Hohlraum und Klüfte gespült. Hier verbargen sich die schönsten Kristallstufen und auch abgerollte kleine Drusen. Fein schimmernde Opalbänder zogen sich durch Decken und Wände der Hohlräume. Wir legten frei und sammelten auf, was wir tragen konnten, wuschen unsere Beute in einem nahen Bach. Auch in den Uferseifen des kleinen Gewässers fanden wir noch kleine abgerollte Quarze in seltsamen Farben.
Wir besprachen uns mit den Edelsteinschleifern in Idar-Oberstein und sortierten das schleifunwürdige Material in unsere Archivschränke. Der beste Schleifer machte sich an die Arbeit: zuletzt hatten wir zwei oval facettierte Steine, einen großen lauchfarbenen Quarz, den Prasiolith, und einen besonders tiefvioletten Quarz, den Amethyst, vor uns liegen. Den ebenso geschliffenen Feueropal mit seinem brennenden Orange betrachteten wir unter der Lupe und stellten fest, dass er über und über mit winzigen roten Pünktchen übersät war. Durchsichtig bläulich schimmerte der zweite Opal, ihn hatte der Schleifer in einen circa 7 Carat schweren Cabochon geschnitten und so fein poliert, dass die Reflexerscheinungen des Lichtes an den winzigen Kieselkügelchen in seinem Inneren aus jedem Augenwinkel andersfarbig erschienen.

Verlassener Steinbruch im Odenwald, Fotografie RW 2010,
Vier edle Steine,
Fotografie RW 2019,
Prasiolith, Indien; Amethyst, Tamil Nadu, Indien; Feueropal und Jelly Opal, beide Äthopien; erworben von Andreas Börsch, jetzt in der Sammlung RW. Die Gelegenheit, Andreas zu treffen, fanden wir bei Gudula Roch.

Eine Zeichnung von Rubens

Er ist tot, der Kopf fällt nach hinten, der Mund ist leicht geöffnet, die Nase spitz geworden. Adonis‘ Kopf wird gehalten von dem dahinter sitzenden Amor, dessen Trauer Rubens so beeindruckend in wenigen Strichen festhält. Sein Kinn berührt fast die Stirn des Toten. Er ist ihm viel näher als Venus, die ihren verstorbenen Geliebten in edler, antikischer Schwermut betrachtet. Sie stützt ihren Kopf in ihre Hand, ein Zeichen von Distanz (in der Zeichnung betont durch den sichtbaren Handrücken und Unterarm), keine tränenreiche Auflösung angesichts des endgültigen Abschieds.
Aber jetzt blickt man weiter nach oben, hier sind noch einmal die Köpfe von Adonis und Venus gezeichnet, ist die Szene des Betrachtens wiederholt, in ganz reduzierten Strichen. Als hätte Rubens bemerkt, dass die Venus zwar schön, aber nicht innig gelang. Oben ist zwischen den beiden Profilen der Liebenden eine zwingende Beziehung entstanden, gleichsam verbunden in einer Binnenfigur. An dieser Stelle entsteht ein solches Klagen und Weinen, ein so tiefes Trauern in den wenigen Strichen, dass wir ganz überwältigt waren, als wir die Zeichnung letztes Jahr in Frankfurt in der Rubensausstellung sahen.

Rubens, Venus um Adonis trauernd, Feder und braune Tinte, 30.6 x 19.8 cm, 1608-1612 – National Gallery of Art, Washington, Alisa Mellon Bruce Fund
Rubenszeichnung, Fotografie RW, 2018,
Ausstellung RUBENS, Kraft der Verwandlung, Städelmuseum, Frankfurt 2018
 

Der Turmalin

Ich entdeckte nach langem Suchen unter einer Falte seines Seidenschals, den der indische Prinz auf ein kostbares, besticktes Kissen gelegt hatte, einen Ring mit einem großen rötlichen Mittelstein. Zehn Diamanten im Brillantschliff umgaben ihn wie die Blättchen einer Blüte. Zusammen müssten sie etwa 1,50 Carat wiegen. Der Prinz sah meine Blicke und sagte: «Wenn Du errätst, um welchen Edelstein es sich bei dem Mittelstein handelt, schenk ich Dir den Ring.» Ich wusste längst, dass dies ein Turmalin sein musste, und zwar einer mit einem Dichroismus. Das heißt, beim Hin- und Herbewegen wechselt der Stein die Farbe. Betrachtet man ihn von oben, aber nur von einem Ende des Ovals, so erscheint ein heller Gürtel. Vom anderen Ende her gesehen bleibt er durchgängig rot. So erscheint die Farbe beweglich, wie flüssig. Er hat die Farbe verdünnten Blutes, die Farbe von blasser Haut, aber auch die von Gelees aus Brombeeren oder vom blassen Gelbgrau reifer Stachelbeeren und auch von ganz stark verdünntem Himbeersirup. Manchmal blitzt am Rand ein Purpurviolett auf.
Das Gewicht des Turmalins schätzte ich auf etwas mehr als 5 Carat. Der Prinz war beeindruckt von meinem Wissen und verriet, dass das genaue Gewicht 5,23 (!) Carat sei. Vielleicht hätte ein anderer Edelsteinschleifer diesen Stein verworfen, oder in einer anderen Richtung geschnitten und geschliffen, den Dichroismus als Fehler gesehen. Für mich aber ist es ein Zeichen der Einzigartigkeit des Steins und ich bin dem Prinzen sehr dankbar für seine neuerliche Großzügigkeit. Durch die Raffinesse seiner Rätsel wurde meine Kunstkammer um eine weitere Kostbarkeit bereichert. Ich schenkte dem Prinz als Gegengabe einen seltenen Rheinfund, einen Limonit mit vielen Abdrücken von Turritella, der fossilen Turmschnecke.

Turmalinbrillantring auf Seidenschal und alter indischer Stickerei, Fotografie RW, 2019, Entwurf und Herstellung des Rings Blumberg & Caspers, Düsseldorf, unter Verwendung von Steinen aus der Sammlung RW, https://blumberg-caspers.de
siehe auch den Beitrag «Precious Stones» vom 29.01.2019


Treue in Ewigkeit

Wie kann das sein – von so weit her kommen sie – sie sind wieder da!
Gerade sah ich beim halben Aufsehen einen Mauersegler in die alte Lücke über unserem Rheinfenster fliegen. Es regnet in Strömen, es ist kühl, hoffentlich haben sie es warm und trocken in ihrem Unterschlupf und können sich von ihrer langen Reise erholen. So unglaublich, dass sie immer wieder genau diesen Platz unter dem einen Dachvorsprung gegenüber km 742 finden. Letztes Jahr kamen sie am 5. Mai, dieses Jahr also schon heute. Sie fliegen aus Afrika herbei, südlich des Äquators, über die Alpen, für sie kein Hindernis. Da kurven sie in der Luft – jetzt zwei – und holen sich die Insekten, die sie hier am Rheinufer reichlich finden. Vielleicht ist das Pärchen, das ich eben sah, vor zwei oder drei Jahren hier geschlüpft…
Die «Treue» der Tiere, ihr Orientierungssinn, die Verlässlichkeit, ihre Flugkünste, ihre «Welterfahrenheit», ihr «Mut», all das erweckt in mir ein Gefühl, das ich ähnlich in Betrachtung des feierlichen Jungen hatte, dessen Porträt ich im Rijksmuseum sah. Im Grunde hat das Bild nichts mit den Mauerseglern zu tun, aber es ist ein verwandter Emotionsauslöser wie die Ankunft der Vögel heute. Die Botschaft des Bildes ist die Liebe der Geschwister ter Borch, die ihren im Krieg gefallenen Bruder Moses posthum ein großes Andenken malen. Bei dem zarten, knapp über Zwanzigjährigen liegt der treue Hund, der den Betrachter mit fast menschlicher Teilnahme anschaut. Die zahlreichen Gegenstände, Pflanzen und Tiere im Bild zeigen in rührender Vielfalt Vergänglichkeit, Überwindung des Todes, Ehre und Mut, Demut und Weisheit.

Memorial Portrait of Moses ter Borch, Gerard ter Borch (II), Gesina ter Borch, 1667 – 1669, Rijksmuseum, Amsterdam, http://hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.309349

Blauer Abend

Wieder hat sich eine Wolke passend platziert, diesmal fast mittig über dem Ozeanriesen, der keiner ist. Sein Mast gehört zu einer fernen Brücke, sein Bug zu einem Haus. Um halb Acht hat der Rhein das Blau des Himmels angenommen.  Das westliche, erstaunlich kühle Restlicht beleuchtet weiter links die drei Gebäude von Frank O. Gehry. Zwei Schiffe rahmen die Szene und zwei Spaziergänger behaupten den Goldenen Schnitt.

Blauer Rhein, Blick vom Oberkasseler Ufer auf den Medienhafen, Düsseldorf, Fotografie RW, 2019