Glück

So dankbar bin ich seit vorgestern, Du weißt schon warum, mein lieber Freund! Welch ein Glück, dass ich auch noch diese kleinen Blüten sah. Der Strauch am Friedhofsrand hatte sich schon frühlingshaft verkleidet und das vier Tage vor Weihnachten.

Gelb blühender Strauch an einem Friedhof in Duisburg, invertierte Handy-Fotografie von LB, 19. Dezember 2018

Spanisch-Deutsch

In einem alten Langenscheidt Universal-Wörterbuch Spanisch-Deutsch, das mir beim Aufräumen der Bibliothek in die Hände fiel, fand ich eine klein gefaltete Kinderzeichnung. Zwei Gestalten, ein Mann (?) und eine Frau sind zu erkennen und der Name Carolina ist notiert worden. Fast zwischen jeder dritten Lexikonseite wurden Pflanzenblättchen gepresst. Ich glaube, sie stammen von einer ehemals magentafarbenen Bougainvillea, aber auch von anderen Pflanzen. Zwischen Maleficio und Gewissen überdauerten die Blättchen Jahrzehnte in ihren geheimen Fächern, verloren ihre strahlende Farbe und verwandelten sich in hauchdünne Seidenpapiere. Die Person, die diese Blätter presste, muss zum ersten Mal in ihrem Leben in Spanien gewesen sein, hat dort zum ersten Mal Bougainvillea gesehen und das vor der Reise gekaufte Wörterbuch wollte sie nicht mehr benutzen, sonst hätte sie es nicht zum Herbarium umgewidmet. Ganz hinten hatte sie mit Tesafilm noch einen Samen eingeklebt. Den würde sie zu Hause in ihrem Garten einpflanzen, um sich genau an die Exotik erinnern zu können. Dazu kam es nicht mehr.

Wärmezelle

Gestern morgen hatte es doch tatsächlich am Rhein geschneit, so viel wie auf diesem älteren Bild vom Burgplatz allerdings nicht. Der Platz in der Düsseldorfer Altstadt sieht inzwischen anders aus. Wer braucht denn noch Telefonzellen? Stimmt die Anzahl der Platanen noch? Bei den Gaslaternen bin ich sicher, sie gibt es bis heute. Eine Bürgerbewegung hat sich für ihren Erhalt eingesetzt.
Wird der einzelne Passant oben links, der so perfekt ins Bild gelaufen ist, telefonieren oder sich nur in der Telefonzelle aufwärmen wollen? Die Frage ist überhaupt, geht er oder kommt er? Ich glaube, er geht. Er hat längst mit seiner Freundin telefoniert und wird jetzt zu Fuß am Rhein entlang durch den Medienhafen bis Unterbilk nach Hause laufen. Den ganzen Tag hat er in der Kunstakademie geschuftet, da seine neuen Arbeiten dieses Jahr einen besonders guten Platz beim Winterrundgang haben sollen. Er hat sich für ein Auslandsstipendium beworben.

 
 
Blick aus einem Fenster von der Mühlenstraße aus auf den Burgplatz in Düsseldorf, später Nachmittag im Februar 2004


Vorfreude

Auf das Weihnachtsfest wie in Kindertagen freuen? Schon in den vergangenen Jahren war dieses Gefühl nur noch in seltenen Momenten zu spüren, aber immerhin – beim Hören adventlicher Musik, dem Zusammenstellen der Geschenke, angesichts der festlichen Lichter in den Straßen – war es da.
Der Abendhimmel über dem Rhein an einem Abend im Dezember vor vier Jahren gab alles: Aufbruch, Freude, Farbe, Licht. Das hilft uns dieses Jahr besonders!

 
 
Aus dem Rheinansichtenarchiv von RW, Abendhimmel im Dezember 2014 bei Düsseldorf


Highlands


Am frühen Morgen hatte es geschneit. Die Nacht in der Schutzhütte war kalt, aber ein sicherer Ort gewesen. Unseren Weg, der sich unweit des kleinen Bachlaufs befand, hatten wir schnell wieder gefunden. Das Ziel war der hohe Berg direkt vor uns, an dessen Fuß wir die Straße nach Inverness ausmachen konnten. Hier hatten wir unser Auto zurückgelassen.

Fotografie aus der Mitte der 70er Jahre von einer Reise in die schottischen Highlands

Die reiche Erbtante

Eine Schwester meiner Mutter, Frau Brauereidirektor Eleonore Pauline G. aus W. in unserem Wohnzimmer Anfang der 60er Jahre. Es wurde gemunkelt, dass sie reich sei. Genau wussten wir es nicht. Anlässlich der Erstkommunion meiner jüngeren Schwester wurde diese Aufnahme gemacht. Die Eltern hatten mit bescheidenen Mitteln begonnen, Antiquitäten zu kaufen. So konnte sie vor einer Truhe aus dem 18. Jahrhundert posieren. Ihre jugendliche Schönheit hab ich als Kind damals nicht bemerkt. Und das, was sie uns vererbt hat, können wir heute wertschätzen oder verkaufen.

THOR

THOR
MARE DULCE
DESCANSO
THARSIS
PIZ AMALIA
MASORA
KILIAN
EILTANK 5
FACTOFOUR
VOLENTA

Unruhe am Himmel über dem Rhein. Schwere Regenwolken und ein hektischer Vogelschwarm im Sonnenlicht. Der Rhein hat seinen Pegel normalisiert. Die Schiffe fahren wieder häufiger und mit voller Ladung.  Ich kann nicht anders, muss dann immer mit dem Fernrohr meines Großvaters die Schiffsnamen entziffern. Manche kann ich aber auch mit bloßem Auge lesen. Ausbeute innerhalb weniger Minuten von heute Morgen vor 9 Uhr und vorgestern Nachmittag. (Fotografie vom 9.12.18, 16.27 Uhr)

Gleichsam gefrorne Thränen

Judith Schalansky schreibt in der FAZ vom 8. Dezember. Es ist ihre Dankesrede anläßlich der Wilhelm Raabe Preisverleihung. Schon lange verfolge ich die von ihr herausgegebenen, ausgezeichnet gestalteten Bücher in den Naturkunden bei Matthes und Seitz. Als Autorin hatte ich sie bislang noch nicht berücksichtigt. Wie sehr verwandt allerdings unsere Vorlieben sind, wurde mir nun verblüffend klar, als ich diese Rede las. (Danke für den Hinweis, Klaus Seitz!) Sie beschreibt darin sorgfältig das Inventar eines Kunstkammerschranks aus Braunschweig und bei der Lektüre des Musaeum Clausum von Sir Thomas Browne, Arzt und Philosoph des 17. Jahrhunderts, ist sie auf abstruse Listen der seltsamsten Dinge gestoßen. Auch in Wilhelm Raabes Werken fand sie wunderliche Einzelheitenbeschreibungen. Hier trifft Judith Schalansky meine Vorliebe für die 23:
Der Magister Noah Buchius in Das Odfeld führt in seinem Kabinett unter Nro. 23. : Ein barbarisch Horn vom Urochsen, Bos primigenius, auch Wisent genannt. Ehedem von den Barden beim Gottesdienst und in der Bataille zum Tuten gebracht. Dieses hiervorhandene Exemplar soll sich im Kuhhirtenhause zu Lenne hinter dem Till vorgefunden haben. NB. mir von denen Herren Primanern zu meinem Geburtstage zugetragen und dediciret.
Ich habe sofort in meinem Buch von Umberto Eco Die unendliche Liste (2009) nachgeschaut, ob er auch das Musaeum Clausum von Browne oder Wilhelm Raabe erwähnt. Nein, das nicht –aber ähnliche Schätze – in diesem für Sammler und Archivierer so herrlichen Nachschlagewerk finden sich unter Wunderkammerinventaren auch Listen aus der Literatur und bildenden Kunst. Eco schreibt aber selbst im Vorwort, dass er nicht alles aufnehmen konnte, dass er seine Sammlung von Aufzählungen als Undsoweiter-Listen sieht.
Nun habe ich gesehen, dass Sir Thomas Browne an anderer Stelle wunderbare Steinbeschreibungen verfasst hat. In seiner Untersuchung Pseudodoxia Epidemica, beschreibt er unter anderem in sechs Büchern, was es an Irrthümern über Mineralien, Gewächse, Thiere, Menschen, Bilder und Gemälde, Welt= und Geschicht-Beschreibungen gibt. Übersetzung Christian Peganium (Ratner) 1680, Frankfurt und Leipzig, Christoff Riegeln Verlag. Daraus zitiere ich eine besonders schöne Stelle:
Der 173. Satz
Doch ist von den Edelgesteinen eine andere Meinung zu faßen: denn dieselben schöpfen ihre Formen aus den klaresten Quellen des Himmels und der Sonnen/ und ihre Körper sind die allersaubersten Tröpfflein des aufs höchste gereinigten/und mit himmlischen Einflüßen geschwängerten /Thaues/und gleichsam gefrorne Thränen des Himmels: daher sie sehr viel und hohe Tugenden in sich begreiffen.

Das Wort Kristall, aus dem Griechischen (κρύσταλλος) kommend, bedeutet bekanntermaßen Eis. Man glaubte, Bergkristall sei gefrorenes Eis, was in tiefsten Temperaturen entstanden, nicht mehr schmelzen könne. (auch darüber spricht Browne in seiner Abhandlung) Ganz so unrecht hatten die Alten nicht. Nur war auch Hitze im Spiel. Nach vulkanischen oder tektonischen Vorgängen kommt es durch die Abkühlung von hydrothermalen Lösungen zur Abscheidung von SiO2 an den Wänden von Klüften, Gängen oder in rundlichen Hohlräumen (Geoden) und es können sich bei genügend Raum sogar freistehende oder kopfüber wachsende Bergkristallnadeln mit schönen Spitzen bilden.

Quarz, Chlorit, Calcit, Länge des prominenten, wasserklaren Bergkristalls, circa 4,5 cm, Stufe aus der Tiefe des Berges, NEAT-Tunnel-Baustelle, Amsteg, 2003