Der kleinste Kalender der Welt

 

 

 

 

 

 

In der Schreibtischschublade meines Vaters fand ich den kleinsten Taschenkalender der Welt. Sein lederner Umschlag riecht wunderbar. Er hat die Größe einer doppelten Briefmarke.
Mein Vater hat darin mit gut gespitzten Stiften und seiner feinen Handschrift die wichtigen Dinge des Jahres aufgeschrieben, beruflich und auch sehr privat, wie etwa meine Geburt, die auf den Geburtstag seines Großvaters mütterlicherseits fällt: August F.
Ich habe ein Kommunionbild von August F. in den Fotokisten meines Vaters gefunden. Sehr ernst sieht man das Kind August F. im dunklen Anzug stehend an einem hohen Tischchen. Es trägt lederne Handschuhe und in seiner linken Hand hält es das Gebetbuch. Es steht auf einem weißen Tierfell und hinter ihm öffnet sich über eine gemalte Steinbrüstung hinweg ein Park. Dies ist alles nur Kulisse. Am Revers trägt es zur Feier des Tages weiße Blumen.
Wie gern haben wir, mein Vater und ich, immer wieder alte Fotos angeschaut und er hat dazu erzählt. Auf manchen alten Fotos hatte ich schon vor längerer Zeit nach seinen Angaben Notizen gemacht, wenn kein Vermerk der Verwandtschaft hinter den Fotos zu finden war, wer wohl abgebildet sein mag.
Der kleine Taschenkalender ist von meinem Vater wohl in dem Jahr, welches in goldenen Buchstaben vorne aufgedruckt ist, sicher in der Innentasche seines  Jackets direkt an der Brust getragen worden. Das Leder ist wunderbar weich. Der Kalender war ein Werbegeschenk der Firma Leistenschneider, die es noch heute in Düsseldorf gibt.

Jan K. in Paris

Wir freuen uns über die Einzelausstellung «Grands Formats» von Jan Kolata in der Galerie Le Feuvre, Paris! Die Ausstellung ist noch bis zum 21. April 2018 zu sehen. Ein Katalog ist erschienen.

Abbildung: Jan Kolata 140.180.2018.06

Emmaus

Aus meinem Lieblingsevangelium nach Lukas:

Sie aber bedrängten ihn und sagten: „Bleibe bei uns. Es will Abend werden. Der Tag hat sich schon geneigt.“ Da kehrte er ein, um bei ihnen zu bleiben.
Während er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, segnete es, brach es und reichte es ihnen.
Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn; er aber entschwand ihren Blicken.
Und sie sagten zueinander: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns die Schrift erschloß?“

Das Erschütternde und zugleich so Tröstliche dieses alten Textes ist für mich

– die Einladung zum Abendessen zu bleiben, da es dunkel wird
(der Weg ist womöglich gefährlich)

– das gemeinsame Mahl mit den heiligen Gesten

– der Moment des Erkennens, als ihnen die Augen aufgehen

– dass er sich ihnen zeigt, um ihnen Gewissheit zu geben

– dass er dann nicht mehr zu sehen ist

– dass sie nun verstehen, warum schon vorher ihre Herzen brannten

Diese Begegnungen der Liebe (Brennen), der Wahrheit (Verstehen der Schrift) und Erkenntnis (Amen So sei es) sind im Leben selten.

Rembrandt van Rijn, Christus in Emmaus, Radierung und Kaltnadel, große Platte,
2. Zustand, 1654, Ausschnitt, gesehen 2015 im Rijksmuseum Amsterdam, Der späte Rembrandt

Return

Der Rhein fließt einfach weiter,
als wäre nichts geschehen.
Immerhin lässt er heute
die Begegnung zu
mit RETURN SUNRISE,
flussaufwärts fahrend,
paradoxerweise
nach Westen,
weil ich immer noch
am falschen Ufer sitze.