Martinsabend

Aufgeregt schnattern die Kinder wie Martins Gänse, aber nicht wie diese, um vor einer Gefahr zu warnen, sondern vor freudiger Erwartung. Erst zum Schluss hören wir sie singen, dann aber kräftig, fast schreiend. Ein großes Gewusel und eine Aufgeregtheit bei den Kleinsten. Die Größeren freuen sich schon auf reiche Ausbeute beim Gripschen. Die Kinder haben alle schöne, selbstgemachte Laternen mitgebracht. Nicht so alberne, wie man sie manchmal sieht, keinen Spongebob, kein Minion und keine Vertreter der Simpsons. Ich kann meine Rührung nicht verhehlen, als die Musikkapelle alte Martinslieder anstimmt. Den Heiligen und die Mantelteilung haben wir nicht gesehen, da wir ins örtliche Museum eilen mußten, um an einer Vernissage teilzunehmen.

Gestern abend in der Innenstadt von Ratingen

Polyeder

Eine meiner größten Freuden ist es, Kunstwerke zu betrachten. Besonders dieses, weil es auch zwei schöne Vielflächner zeigt, die mich an Kristalle aus dem Mineralienreich erinnern. Auf dem Bild ist der Mathematiker Luca Pacioli im Franziskanerhabit zusammen mit einem unbekannten jungen Mann abgebildet. Das Jacopo de Barbara zugeschriebene, 1495 entstandene Gemälde hängt im Museo Capodimonte in Neapel, einem meiner Sehnsuchtsorte, den ich 1978 zum ersten Mal aufsuchte. Es ist faszinierend, dass der berühmte und gelehrte Leonardo da Vinci die Illustrationen zu Paciolis Werk «De divina proportione» zeichnete. Der rechts im Bild auf dem roten Buchdeckel abgebildete Pentagondodekaeder ist einer der platonischen Körper, eben ein aus zwölf Fünfecken gebildeter Körper, der das Beispiel für die «göttliche Proportion» ist, da sich seine Seitenfläche, das regelmäßige Fünfeck bekanntermaßen mit der «sectio aurea», dem «Goldenen Schnitt» konstruieren lässt, diesen gleichsam versinnbildlicht.
Das Mineral Pyrit kommt in der Natur als Körper mit dem Pentagon als Seitenfläche vor. Oder als fast perfekter Hexaeder, beide Formen sind ja dem kubischen Kristallsystem zugeordnet. Zwar zeigen sie sich nicht so regelmäßig wie in der Geometrie, aber immerhin für das menschliche Auge perfekt. (siehe auch ruth23weber.de unter der Kategorie «Stein» und «Von Steinen spreche ich»)
Der Rhombenkuboktaeder, der zu den archimedischen Körpern gehört, ist hier auf der linken Seite des Bildes hängend dargestellt. Angeblich soll er zur Hälfte mit Wasser gefüllt sein. Könnte dies nicht auch eine innere Glasfläche sein, die der Stabilität des Körpers dient? Wie wunderbar wäre es, wenn die Flächen des Körpers aus Bergkristall geschliffen wären. Auf den Glasflächen sind sogar Spiegelungen der Umgebung des gemalten Raumes zu sehen, die an Fensterausblicke mit Tageslicht erinnern, sonst ist der Hintergrund des Bildes ja dunkel gehalten. Paciolis Blick geht über uns hinweg, während der junge Mann uns direkt anschaut, um uns einzuladen, an der gelehrten Konversation teilzunehmen.

Coelestin

Coelestin, große Kristalle
in der Farbe des Himmels,
ohne Licht in tiefen Schichten
vor Millionen von Jahren gewachsen.
Genährt von den Kalkschalen
vergangener Meeresorganismen.
Das Bild des Wassers noch in sich tragend.

 

Die madegassischen Coelestine (Sr[SO4], ein Strontiumsulfat) sind durch Zersetzung fossiler Muscheln in einem Umfeld niedrigtemperierter Lösungen in sedimentären Schichten zwischen Paläozoikum und Mesozoikum entstanden. https://www.mineralienatlas.de
Detail einer großen Coelestindruse, Fundort Madagaskar, aus der Sammlung von RW.

Korrespondenzen XXVII

 

 

 

Licht in der dunklen Jahreszeit
Die Musik an Bord ist laut,
die Farben grell,
das Ereignis klein.
Auf dem Friedhof
werden Lichter aufgestellt.
Das hat nichts Frommes,
man trifft sich, lautes Gerede,
Eventkultur.
Die alten Lieder,
das Segnen
nimmt man billigend in Kauf.

Partyschiff auf dem Rhein bei Düsseldorf,
Allerheiligen auf einem Friedhof in Duisburg

Das Vergehen und das Werden


Herzmuschel mit Vivianit, einem Phosphatmineral, das in fossilen Muscheln, Knochen und Zähnen schöne schwarzblaue Kristalle, aber auch erdig-pulvrige Aggregate bilden kann, Fundort Halbinsel Kola, Russland.
Honigcalcit in der fossilen Muschel Mercenaria permagna, Fundort Rucks’ Pit, Florida, USA.
Beide Exemplare aus der Sammlung von RW

Mein Lieblings-Reclam-Exemplar

Ein Reclambändchen, das ich liebe. Von A wie Abaculus bis Z wie Zyklopenmauerwerk. Die Auskünfte, die es gibt, verstehe ich lediglich als Hinweise und Erinnerung. Danach beginnt meist erst die wirkliche Recherche. Besonders schön ist auch, dass es einen Anhang mit altgriechischen Fachwörtern gibt.
Am 24. Oktober 2018 wurde in Leipzig ein Reclam-Museum eröffnet, dessen Träger der gemeinnützige Verein «Literarisches Museum e.V» ist. Dort ist die Sammlung des  Reclam-Sammlers Hans-Jochen Marquardt ausgestellt. Man sieht unter anderem einen wunderbaren Original-Reclam-Schrank, wie ein mannshohes Triptychon mit beidseitig beschickbaren Seitenflügeln aufgebaut, der alle Bändchen bis 1945 enthält.
Einen Mangel hat allerdings mein Lieblings-Reclam-Bändchen. Von Edelsteinkunde und Mineralogie versteht es nicht soviel. Manche Steine werden nur ungenau oder gar falsch beschrieben: Unter dem Stichwort Chrysopras wird behauptet, dass dieser Schmuckstein eine Abart des Beryllus sei. Chrysopras ist allerdings die lauchgrüne Varietät des Chalcedon. Zur Familie der Berylle gehören unter anderem der Smaragd und der Aquamarin. Vielleicht wurde hier der Chrysopras mit dem Chrysoberyll, dem Goldberyll, auch Heliodor genannt, verwechselt. Schon in der Bibel wird der Chrysopras in der Offenbarung des Johannes erwähnt. Die 12 Edelsteine an den Stadtmauern des himmmlischen Jesuralems (Offb, 21,16ff) sind Jaspis, Saphir (hier ist aber der Lapislazuli gemeint), Chalcedon, Smaragd, Sardonyx, Sarder, Chrysolith (ein anderer Name für den grünen Peridot), Beryll, Topas, Chrysopras, Hyazinth und Amethyst.