Kunstakademie

Vor ein paar Tagen hatte die steinalte Sophia mit dem gerade in Düsseldorf weilenden, indischen Prinzen die hiesige Kunstakademie besucht. Sie wollten sich gemeinsam die ausgestellten Abschlussarbeiten der Studierenden anschauen. Sie begannen hoch oben unter dem Dach, dort wo früher die Maltechnik unterrichtet wurde, es einen Flur mit Gipsen der berühmtesten Skulpturen gab, vorbei an dem Raum, wo Sophia ihre ersten Aktzeichnungen versucht hatte. Um zum anderen Ende des obersten Stockes zu gelangen, gingen sie über die lange Dachterrasse hoch über der Altstadt. Es regnete an diesem Tag, Baulärm drang hinauf. Tief unter ihnen waren Bagger am Werk, ein ganzes Viertel abzureißen, um Platz für die Neubauten eines Altenheims zu machen. In der Ferne sah man die Lambertuskirche mit ihrem schiefen Turm, im Dunst den Rheinturm und die Rheinkniebrücke. Dort drüben, wo die Bäume am Ufer stehen – linksrheinisch, bin ich geboren, erzählte die steinalte Sophia dem Prinzen. Und dort unter der Brücke habe ich allerhand mineralische Schätze und archeologische Bruchstücke in den Rheinkieseln gefunden. Ihr gefiel die Aussicht bei Wolken und Nieselregen. Während ihrer Studienzeit hatte sie sich nur manche Male, etwa bei sommerlichen Akademiefesten hier hinauf auf die Terrasse begeben. Nun, beim Abstieg durch die verschiedenen Treppenhäuser, hielt sie sich an den Geländern fest, die polierten Steinflächen der Treppen schienen ihr gefährlich. Nur wenige Studenten kamen den beiden entgegen. Einer trug einen knielangen, roten Bademantel über einem Damennachthemd und seine langen blonden Locken waren zu einem Zopf zusammengebunden. Das ist der Sohn eines bekannten Rundfunk- und Fernsehmenschen, flüsterte sie dem Prinzen zu.
Weiter gelangten die beiden durch die langen hohen Flure in die verschiedenen Ateliers, in denen die Diplomanten und Meisterschüler ihre Arbeiten museumsreif präsentierten. Einige der Studierenden hatten schon Galerie- und Ausstellungserfahrung. So war das bei uns nicht, bemerkte Sophia ironisch. Den indischen Prinzen interessierte ihr Unterton nicht, sondern kaufte einer Künstlerin eine ausgestellte Arbeit ab. Für das große Acrygemälde mit den blassen Gesichtern zahlte er ihr eine hohe Summe bar in die Hand. Mich erinnert es an die Farben heller Opale und Perlmutt, sagte er, ich konnte nicht widerstehen.

Blick von der Terrasse der Kunstakademie Düsseldorf, Fotgrafie RW, Oktober 2021