Rom, Blicke

Da stand ich hoch auf der Kuppel vom Petersdom. Im Herbst 1971. Unterhalb der Laterne gibt es die Plattform, von der man auch heute noch, aber hinter hohen Gittern wie in einem Affenkäfig, auf Rom schauen kann. Der Blick geht von St. Peter auf die in der Ferne liegende Engelsburg, den Tiber, die Brücke Sant’Angelo.
Rolf Dieter Brinkmann hatte 1971 noch 4 Jahre zu leben. 1972 und 1973 war er in Rom wegen seines Villa Massimo-Stipendiums. Er schrieb dort an seinen Collage-artigen Aufzeichnungen zu «Rom, Blicke». 1971 war ich auch zum ersten Mal für wenige Tage in London. Dort starb Rolf Dieter Brinkmann am 23. April 1975 bei einem Autounfall, weil er als Fußgänger den Linksverkehr missachtete. Er wurde nur 35 Jahre alt. Seine Mutter starb, als er 17 war. Er brach das Gymnasium ab. Als Schüler spielte er jedoch erfolgreich Theater.  Sein Vater fotografierte ihn auf der Bühne. Der Vater starb, als er 27 war.
Wir wohnten 1971 im Albergo del Sole und schauten von dessen Dachterrasse auf die Kuppel von Andrea della Valle. Das Hotel gibt es heute noch. In der Nähe der Piazza Navona. Wir waren natürlich auch zu den Ausgrabungen auf dem Forum Romanum gegangen, vorbei an der Riesen-Schreibmaschine, dem kaltweißen Groß-Denkmal für Vittorio Emmanuele II, über das Rolf Dieter Brinkmann spottet, wie er sowieso nur schimpft und ätzt über das, was ihm in Rom begegnet, aber den nahe gelegenen Campidoglio lobt er:
«…Es war gegen 1 Uhr, als ich […] auf den von Michelangelo entworfenen Platz des Kapitol- Hügels kam – wirklich ein schöner, befreiender Platz, mit einem feinen Raumgefühl entworfen, denn das Gefühl des Raumes teilte sich mir sofort mit. Ich hatte das Gefühl des Raumes und nicht das eines staubigen Durcheinanders, sobald ich von den Bauten ringsum und ihrem Zustand absah. – Hier konnte ich gehen, mich bewegen, über eine gleichmäßige Fläche, die angenehm war…»
Ich war 1971 schon an der Kunstakademie eingeschrieben, hatte so wenig Ahnung vom Kunstgeschehen der Zeit. Dass 1971 Rolf Dieter Brinkmann ein Stipendium des Landes Nordrhein-Westfalen bekam, wusste ich nicht. Aber in Düsseldorf, auch sicher am Eiskellerberg, in der Kunstakademie, war er bestimmt zu Besuch. Das Heinrich-Heine-Institut besitzt eine Sammlung von seinen Briefen und andere Stücke aus seinem Nachlass.

Rom, auf St. Peter, Fotografie September 1971, Archiv RW
Rolf Dieter Brinkmann «Rom, Blicke» 1979 Rohwolt Verlag