Korrespondenzen XXI

 

 

 

 

Details, gesehen bei
Hans Op de Beeck, The Collector’s House
in der Ausstellung Black and White
im Museum Kunstpalast, Düsseldorf, noch bis zum 15.07.2018
und bei Paul Schwer – Von beiden Enden
im Museum Ratingen vom 01.07.2018 – 09.09.2018

Helle Nächte

In den vergangenen, kurzen,
mondhellen Nächten
bin ich regelmäßig gegen Viertel nach vier,
wenn das erste Dämmerlicht sich hob,
aufgewacht und hörte
aus der Stille heraus,
zunächst ganz verhalten,
die Rufe einer Singdrossel.
Sie steigerte sich im Wechsel
zwischen lockenden
Einsilbern
und trillernden,
zwitschernden Melodien,
die sie bei Rotkehlchen, Meise,
Amsel und Stieglitz
gehört hatte.
Immer so variantenreich,
dass ich lange zuhören will,
bis sie plötzlich schwieg und ich wieder einschlief.

Heute heiter

Heute abend haben wir
zum letzten Mal im Jahr
Spargel gegessen,
zwei Tage zu spät,
denn an Johannis ist normalerweise Schluss.
Es gab ihn ganz klassisch mit Kartoffeln,
Butter und gekochtem Schinken,
dazu einen feinen Riesling.

Wir sitzen direkt bei
geöffneter Tür zum Fluß
in der Bibliothek,
hier haben wir unseren Essplatz etabliert,
sehen den Rhein fließen, obwohl die Platanen
fast alles mit ihrem Sommerlaub verdecken.
Wir hören die älteren Schiffsdiesel tuckern,
die modernen Schiffsmotoren rauschen dagegen nur leise.

Vom Wein haben wir jetzt schon ein wenig
rundere Gedanken
und beide schreiben wir auf unseren Notebooks.
Die Aufgaben des Tages
arbeiten wir ab.
Es ist eine große Freude,
die Herausforderung anzunehmen.

Das Westlicht ist wunderbar grüngolden.
Die Farbe des Wassers wird silberblau.
Das leise Tackern beim Berühren der Tastaturen ist schön,
wenn wir parallel schreiben
und unseren Rhythmus hören.

Das Kreischen und Heulen
vereinzelter Jetski-Abenteurer,
die Eile der Jogger und Fahrradfahrer
nehmen wir gelassen hin.

 

Korrespondenzen XX


Keine alten und keine neuen Brillen in der Schachtel,
gesehen in einer Kirche in Bochum-Langendreer am 22. Juni 2018.
Aquamarinkristall, Be3Al2[Si6O18] + Fe2+, Afghanistan, hellblaue Varietät des Berylls,  aus meiner Sammlung. Frühe Augengläser wurden aus Kristallen geschliffen, meist aus klarem Quarz, Topas oder Beryll. Das Wort Beryllus war wohl ein Sammelbegriff für alle durchsichtigen Kristalle und so leitet sich das Wort Brille wahrscheinlich von seinem Plural Berylle her.

Johannis

 

Draußen essen an einem lauen Juniabend,
gezuckerte, rote Perlen zum Nachtisch,
oder war es nur die Johannisbeerdekoration,
dann mit der Gabel von der Rispe gestreift?

Ich kann mich nicht erinnern,
wann ich zuletzt
Johanniskäfer sah.

Im blauen Dämmerlicht
glimmen und tanzen sie
unter dem mächtigen Kirschbaum
von Haus Dorgarten.
Ein Bild aus Kindertagen,
genau wie das Meeresleuchten
der Nordsee, das wir mit den Füßen
am Wellensaum provozierten.

Auslöser für eine Erinnerung

Capriblau –
daraufhin ein frühes Bild:
eine große, breite Treppe
in einem südlichen Land.
Steinerne Stufen zwischen Sand und Rosa.
Hell gekleidete Menschen
gehen diese Treppe auf und ab.
Alles in Untersicht,
Kinoleinwand?
Ein fröhliches Gemeinschaftsgefühl
ist an dieses Bild gekoppelt,
festlich frohe Erwartung,
Musik.

Es ist aber
NICHT
die Treppe des
Hauses auf Capri,
der Villa Malaparte,
auf deren Stufen
BB und MP
zu sehen sind in
Le Mépris
von Jean-Luc Godard.

Immer und immer wieder frage ich mich,
woher dies Bild der Treppe kommt.

Kneipp-Wasserbecken in den Kuranlagen von Grasellenbach, Odenwald,
gesehen im Mai 2018

Kindertage, Ferien und Sommer

Eisenbahn in Murnau
Aus den dunklen Felsen des Tunnels, wo die einzelnen Grasflächen viel dunkler im Schatten erscheinen als im hellen Teil des Bildes, kommt eine immer deutlicher werdende Eisenbahn heraus. Man erkennt auf dem Bild, daß sie sehr schnell fährt, denn der hintere Teil der Eisenbahn ist verschwommen und verschwindet fast im Gras. Im Vordergrund sehen wir deutlich den Schatten der Eisenbahn. Damit der Vordergrund aber nicht zu dunkel erscheint, steht da ein kleines Mädchen mit rotem Kleide und winkt. Die Eisenbahn fährt an zwei, sich nicht gegenüberliegenden Telegrafenstangen vorbei. Wenn sie nämlich gerade gegenüberstehen würden, wüßte man nicht mehr wohin mit den vielen kleinen Porzelanknöpfchen, die auf den Telegrafenmasten sitzen. Der Maler malte auch keine Drähte an die Masten, da das Bild etwas locker (und durcheinander) gemalt ist, würde das zu viel Verwirrung bringen. Die Eisenbahn fährt vom Dunkel ins Helle. Die Farben auf der anderen Seite sind kräftiger gemalt und viel bunter, wo auf der einen Seite fast nur dunkelblau und dunkelgrün sind, wählte der Maler auf der einen Seite hellgrün, hellrot und gelb. Scheinbar auf einem Hügel liegen bunte freundliche Häuser, (an denen keine Fenster sind), darüber strahlender Himmel und dicke weiße Wolken hängen daran. Das ganze Bild erinnert an Ferien und Sommer.

Abbildung: Wassily Kandinsky, Eisenbahn bei Murnau, 1909, Öl auf Pappe, 36 x 49 cm, München, Lenbachhaus
Im Januar 1964 mit 12 Jahren schrieb RW diese Bildbeschreibung als Hausaufgabe. Orthografie und Zeichensetzung wurden nicht verändert, Original-Schulheft in meiner Sammlung.
BS, die Lieblingslehrerin von RW, schrieb unter den Aufsatz: Gute Gedanken, aber zu wenig durchgearbeitet.