Mantegnas Wolke

Warum lässt Mantegna einen Reiter in der Wolke über dem Heiligen Sebastian erscheinen? Der Artikel von Andreas Kilb in der heutigen FAS zur Berliner Ausstellung Mantegna und Bellini hat mich auf ein Lieblingsthema zurückgeführt: Das scheinbar wie von selbst, aus gefundenen Formen der Natur zufällig entstehende Bild.
Nun ist der Wolkenreiter aber eben kein Zufallsbild. Mantegna hat ihn ja aus Wolkenmasse geformt, so wie er auch im Pariser Bild der über die Laster siegenden Minerva zwei Profilgesichter aus Wolken formt. Er hat eben keinen Reiter als himmlische Erscheinung ins Bild gesetzt, versehen mit den zugehörigen Farben und Details. In diesem Fall würde ich ein ikonographisches Programm als Schlüssel für das Rätsel des Bildmotivs akzeptieren.
Die Diskussion um die Natur als Schöpferin, die selbst Bildnisse erzeugen kann, kennen wir schon aus der Antike. Der Betrachter der Natur (und der Kunst) muss allerdings mit seiner Einbildungskraft die Figurationen entdecken können. Und so ist Mantegnas Wolkenreiter für mich wie ein Zitat zu dieser Fähigkeit der Imagination, die dem Betrachter abverlangt wird.
Auch Achate, Marmore und andere bunt geäderte Gesteine sind mit einer Möglichkeit zur Bilder-Erfindung ausgestattet. Mantegna hat in seiner Malerei wunderbare Gesteine in Architekturelementen sehr getreu wiedergegeben, aber nie mit Figurerfindungen versehen. Die schöne Marmorsäule, an die der heilige Sebastian gefesselt ist, zeigt einen gelb geflammten Stein mit nach rechts aufstrebenden, brekzienartigen, grauen und hellen Einlagerungen, die von feinen Adern durchzogen sind. Da hat Mantegna sicher einen wirklichen Marmor vor sich gesehen und zeigt doch an ihm, wie frei sich Malerei gebärden kann.

Wolken, Fotografie RW, 2016
Ausschnitt aus Andrea Mantegna «Der Heilige Sebastian», etwa 1459/60, Kunsthistorisches Museum Wien, jetzt in der Ausstellung in Berlin