Licht aus weiter Ferne

Das war lang vor meiner Zeit. Mein Großvater bat seine vier Töchter, sich für eine Photographie aufzustellen. Er bannte die Lichtzeichen auf die empfindliche Glasscheibe seiner Plattenkamera. So entstand ein Glasnegativ. Aus dem Nachlass des Großvaters besitze ich etliche solcher belichteten Gläser. Das fünfte Kind, der Sohn, war zur Zeit der Aufnahme noch nicht geboren. Ich schätze die Aufnahme auf etwa 1933 bis 1935. Die Kinder sind ernst, obwohl sie sich zum Karneval verkleidet haben. Das Rotkäppchen (1927), die Holländerin (1926), die Ungarin (1923) und die Biedermeierdame (1922). Das Häubchen der Holländerin trug ich etwa 23 Jahre später im Karneval. Der Großvater hatte sicher ein ernstes Wort gesprochen, damit die Mädchen stillstanden und die Aufnahme gelingen würde. Er hatte als Aufnahmeort die Terassen der Tonhalle, damals Planetarium hoch über dem Ehrenhof beim heutigen Kunstpalast gewählt, vermutlich. 1926 war die große Anlage am Rhein mit Gebäuden und Parks für die Ausstellung GeSoLei errichtet worden. Die Familie war wohl zu Fuß über die Oberkasseler Brücke gekommen, sie wohnten ja an der Luegallee. Die Großmutter hatte alle Kostüme von Hand genäht, sie war ausgebildete Schneiderin und nähte auch für eine vornehme Sängerin der Düsseldorfer Oper am Rhein. Die Schürzen und das Häubchen wurden gestärkt und geplättet. Meine Mutter ist das Mädchen ganz rechts, die verantwortungsvolle Älteste, sie starb heute vor neun Jahren. Links daneben das Mädchen wird dieses Jahr 100 Jahre alt, die einzige der Kinderschar, die noch lebt.

Düsseldorf 30er Jahre, Glasnegativ, digital umgewandelt, aus dem Archiv RW, Sammlung RW 2023