Dunkeldämmerung

Neuerdings werden die Abende zu lang. Schon um 17.20 Uhr ist es fast dunkel. Die Uhrzeiten entsprechen nicht mehr der Wahrnehmung von Tag und Abend. Als hätte irgendwer die Dunkelzeit um zwei Stunden verlängert. Blickt man jetzt hinaus zum Rhein, so gleiten Schiffslichter den schwarzen Fluss hinunter. Die mit Spinnweben behängten Strassenlaternen blaken im Dunkeln blass rotgelb, dazu zappeln die Neon-Jogger ihren Weg entlang, die Hunde sind mit bunt blinkenden Lichterketten ausgestattet. Das gefällt mir alles nicht, dachte die steinalte Sophia, aber vor den hellen Fernseher will ich mich vor acht Uhr noch nicht setzen. Sie begann den zu schnellen Lauf dieses langen, eigenartigen Jahres Monat für Monat durchzugehen. Das ist schließlich meine ureigene Zeit, sagte sie sich. So will ich zufrieden sein und mich von meinen Erinnerungen nähren, indem ich sie in Lichtbilder umwandle.

Drachenfiguren im Parc de la Ciutadella, Barcelona, Fotografie RW, 2015, invertiert und bearbeitet 2020