Dürers Witz und ein profanes Detail


In der Holbein Ausstellung, die gerade im Städel in Frankfurt gezeigt wird, ist auch eine Kopie des  Altarbildes von Albrecht Dürer, genannt Das Rosenkranzfest, aus dem frühen 17. Jh. zu sehen. Das Original, das Dürer für die Kirche San Bartolomeo in Venedig malte, hängt in Prag. Dort sah ich es voller Erstaunen in den 80er Jahren und war erschrocken über seinen schlechten Zustand. Trotzdem erinnere ich mich, dass ich berührt war von der Andacht und Festlichkeit im Bild. Und erkannte die selbstbewusste Anwesenheit von Dürer, rechts im Bild an einem hohen Baume stehend, einen Zettel haltend, auf dem er sagt, dass er das Bild in nur fünf Monaten malte.
In Frankfurt sah ich auf der Wiener Kopie ein mir unbekanntes Detail, das es im Prager Bild nicht gibt. Eine große und detailgetreue Fliege auf dem Knie der Madonna. Aber – die Fliege sitzt eben nicht auf dem weißen Tuch auf Marias Schoß, sondern sie sitzt auf dem Bildgrund des Künstlers. Da die Fliege auch auf einer früheren Kopie, noch in Venedig gemalt, erscheint, ist es wohl sicher, dass Dürer sie in sein Bild malte, sie aber auf Grund von Beschädigungen und Restaurierungen des Gemäldes nicht mehr erhalten ist.
Die Fliege in Gemälden hat eine lange Tradition – musca depicta. Die Trompe-l’œil Fliege gehört zur Realität des malenden Künstlers und nicht zur Wirklichkeit des Abgebildeten. Sie sitzt auf weißen Hauben der Porträtierten, auf steinernen Brüstungen, auf gemalten Rahmen, auf Wänden – und immer ist sie zu groß als Beweis, dass sie nicht zu dem dargestellten Raum gehört. Etwas anderes ist die Fliege auf Obst- und Blumen-Stilleben, hier hat sie eine ikonografische Aufgabe, lehrt uns das Memento mori. Aber manchmal ist sie auch hier zu groß gemalt und ist wieder die Fliege aus dem Atelier des Künstlers, die die gemalten Früchte für wirklich hält.
Und als ich meine Fotografien vom Mueumsbesuch betrachte, leuchtet ein banales Detail auf fast jedem Foto auf – die sich im Schutzglas der Bilder reflektierenden Notausgangsschilder des Museums. Hier wie eine zweite Brosche am Ausschnitt der Madonna. Es ist die musca depicta des fotografisch-digitalen Zeitalters – sie schleicht sich in die Oberfläche der Fotografie ein, und bezeugt die Anwesenheit des Fotografierenden an jenem Tag im Museum.

«Holbein und die Renaissance im Norden» Städel Museum Frankfurt, noch bis zum 18. Februar 2024,
Detail auf der 1606 bis 1612 entstandenen Kopie des Bildes von Dürer im Kunsthistorischen Museum Wien. Das Rosenkranzfest, Albrecht Dürer, 1506, Öl auf Pappelholz, 162 × 194,5 cm, Nationalgalerie Prag, Fotografie RW, 23. 1. 24