Das traute Gefühl

Zwei Tage vor Weihnachten wurde die steinalte Sophia krank. Sie hatte sich mit der gerade grassierenden Seuche infiziert und hoffte, dass die vier Impfungen sie vor einem schweren Verlauf schützten. So habe ich dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum und darf auch niemanden besuchen, um ihn zu beschenken, überlegte sie. Zum Glück hatte sie schon ein paar Vorräte eingekauft. Da kann ich mir am ersten Feiertag ein paar Rindsrouladen schmoren und am zweiten mach‘ ich Zürcher Geschnetzeltes, nur nicht mit Kalbfleisch sondern mit Geflügel. Sie würde den alten, weihnachtlich dekorierten Pappteller der Eltern aus dem Schrank holen und ihn mit ein paar Marzipanstückchen, die ursprünglich für eine Freundin gedacht waren, füllen. Dann hänge ich einfach die Weihnachtskugeln in die Orchidee, die ja gerade nicht blüht und werde im Radio das Weihnachts-Oratorium hören. In der Nacht bekam sie heftige Kopfschmerzen und Fieber, sie ängstigte sich nicht, sondern vertraute auf die Erzählungen ihrer Bekannten, dass die neueste Variante der Seuche etwas milder verlaufen solle. Wenn ich wieder gesund bin, fahre ich mit der Eisenbahn an den Mittelrhein und werde ein paar erholsame Spaziergänge im Winterwald zu Burgen und Schlössern machen.

Spielzeugeisenbahn in Bonn, Fotografie RW, Winter 2020