Blick zurück im Rund

Der indische Prinz hatte auf einer Kunstauktion in Belgien einen kostbaren Porzellanteller aus dem späten 19. Jahrhundert ersteigert, der das Porträt einer Kuh zeigt. Mit Kobaltblau und Manganrötlich bis -violett wurde er unter Glasur auf eine äußerst feine Art bemalt. Im Durchmesser etwa 23 cm groß. Natürlich kannte er den kleinen Tondo von Roelant Savery, der im März 2021 für circa 128000 Franken im Schweizer Kunsthandel verkauft worden war. Auf dieses kleine Rundgemälde von 1604, das wußte er, ging das Motiv des Tellers zurück. Auch kannte er genau diese Kuh von einem weiteren Bild Savery’s –  «Orpheus unter den Tieren» in der Kunstsammlung der Universität Göttingen. Ganz weit in der Ferne verzaubert Orpheus die wilden Tiere mit seiner Musik, im Vordergrund, in vollem Licht die Kuh zwischen anderen Artgenossen. Im Zauberbann, so erscheint sie dem Prinzen auch auf dem Tondo – und der Bann überträgt sich auf den Betrachter, Jahrhunderte danach. Ob Savery an das Porträt einer Person gedacht hat, als er die Kuh malte?
Zur Entstehungszeit des Tellers war die Fotografie schon erfunden, die Farben eines Negativs jedoch nicht bekannt. Was mochte den Porzellan-Maler bewogen haben, das beliebte Motiv in der Umkehrung zu malen? Vielleicht die in seiner Heimat traditionellen Blaus auf Porzellan? Der äußerst seelenvolle, rückwärts gewandte Blick des Tieres aus lang bewimperten Augen geht allerdings dabei fast verloren. Die Anmut in der Haltung, bei aller Schwere des Körpers, bleibt aber erhalten. Die Hörner trägt die Kuh wie eine Krone.
Erst auf dem Teller hatte der indische Prinz die drei Wasservögel im Hintergrund links von ihr entdeckt. Die zwei sich begegnenden Frösche vorne und die sich brüstende Ente kannte er auch vom Original. Anspielungen auf Geheimnisse des Lebens in Zweisamkeit?
Im Original leuchtet rechts im Hintergrund auch ein stiller, grünblauer Tümpel in einer Waldlichtung auf, geheimnisvoll und schön – leider sieht man dies bedauerlicherweise auf dem Teller durch die Umkehrung vom Dunklen zum Hellen nicht. Dafür kommen die zarten Konturen und die Eleganz der Pflanzen um so mehr zur Geltung.
2300 Euro hatte der indische Prinz für den Teller bezahlt. Er hoffte, nicht auf eine Fälschung hereingefallen zu sein – ein Teller mit fotografischen Mitteln im Siebdruckverfahren bedruckt? Das Porzellan war allerdings alt, das hatte er prüfen lassen.

Digital manipulierte Fotografie RW, 2021, nach ROELANT SAVERY (Kortrijk 1576–1639 Utrecht) Liegende Kuh in einer Landschaft. 1604, 17, 5 cm, mit Öl auf Holz gemalt.
Entdeckt in dem schönen Buch «Gemalte Tiere, Ein Bilder- und Lesebuch mit 61 Meisterwerken aus sieben Jahrhunderten und literarischen Texten von heute» Schirmer/Mosel. Hrsg. von Kirsten Claudia Voigt und Lothar Schirmer. 160 Seiten, 61 Farbtafeln, 16 Abb. Format: 26,5 x 32 cm, gebunden. Deutsche Ausgabe. 2. Auflage.