Wendelin Rottbänder will den Siegelring seines Großvaters verkaufen, weil er knapp bei Kasse ist. Der Großvater hieß Wolf Rottbänder. Groß prangen ein W und ein R in goldenen Buchstaben auf dem Kopf des Ringes. Sie wurden auf einen Onyx montiert mit winzigen Nädelchen, wie man auf der Rückseite sieht. Der Goldschmied hat in der Ringschiene ein EB hinterlassen. Sie ist aus Gelbgold nur mit 9 Karat legiert, während der Kopf rotgolden glänzt und wahrscheinlich höher legiert ist, was zu überprüfen wäre. Der Händler im Pfandhaus will Wendelin nur 230 Euro für den Ring geben. Das ist dem Wendelin zu wenig. Er behält den Ring. Diese Geschichte erzählt der indische Prinz zum wiederholten Mal. Er kennt Wendelin und will ihn fördern. Wendelin ist Künstler und fotografiert. Die neueste Fotografie kauft ihm der indische Prinz für 500 Euro ab. Das Motiv auf dem invertierten Foto zeigt die Hand des Künstlers mit dem Initialen-Ring in Indisch-Purpur-Rot, drohend zu einer Faust geballt. Wendelin Rottbänder bedankt sich bei dem indischen Prinzen – für’s Erste ist ihm geholfen.
Ein wunschvoller Garten
Der indische Prinz kennt einen englischen Horticulturisten, der lange in Katalonien gelebt und geforscht hat. Dieser lud ihn nun nach Barcelona in seinen großen Garten ein. Der Garten liegt an einem Hang, mitten darin das mächtige Haus des Besitzers mit mehreren Terrassen, die gestaffelt verschiedene Blicke bieten, auch bis zum Meer. Dattelpalme, Waldkiefer, Mastixbaum, Lorbeerbaum, Steineiche, Olivenbaum und viele andere Arten finden sich meisterhaft gruppiert im Garten. Im Frühling blühen Mandel, Pfirsich und Kirsche im Obstgarten des Hauses. Ab Mai bis in den Sommer kann man die Früchte direkt vom Baum pflücken, auch Orangen, Zitronen, Trauben, Feigen und Granatäpfel werden geerntet. Im Herbst färben sich die Blätter der Laubbäume, orchestriert von Gelb über Orange bis Rot und Braun.
Das Besondere aber ist ein Aufzug im Hangwald, der bis tief in den Berg geht. Dort drinnen herrscht auch zu Zeiten der Mittagshitze eine Temperatur um Null Grad. Zusätzliche Klimaanlagen bringen das Wasser eines unterirdischen Springbrunnens, der fein stäubt und rieselt, zum Gefrieren, so dass große Sternschneeflocken durch die Luft wirbeln. Moose und Flechten im Keller bedecken sie mit einer weißen Decke. Künstliches Winterlicht und große Nadelbäume sorgen zusätzlich für einen überraschend natürlichen Eindruck. Der Horticulturist sehnt sich so sehr nach dem englischen Winter, besonders zur Vorweihnachtszeit, dass er keine Kosten und Mühen gescheut hat, alle Raffinessen einbauen zu lassen. Der Vernunft wegen sieht er im Eiskonzept aber vor, nur in den Monaten November, Dezember und Januar das Schneefallen zu erlauben und auch nur wenn Besucher den Keller betreten. Kaum ist man mit dem Aufzug wieder im sonnenbeschienenen Hanggarten, schmilzt unten der Schnee und der Springbrunnen ist still. Auf Nachfrage des indischen Prinzen gibt der Horticulturist zu, die Idee zum Winterkeller abgeschaut zu haben von einem alten persischen Märchen, das von einem Garten erzählt, in dem alle Jahreszeiten gleichzeitig erlebbar werden. Der indische Prinz will dem Gartenfreund nun als Dank für den Aufenthalt in Barcelona eine kleine Schatulle mit Edelsteinen schenken, die genau nach den jahreszeitlichen Farben im Kästchen geordnet sind. Bergkristall, Jade,Verdelith, Rosenquarz, Pyrop, Padparadscha, Citrin, Goldberyll, Saphir und Diamant.
Im Park Güell, Fotografie RW 2010, diese Erzählung ist eine Antwort auf die schöne Geschichte «Der Garten der vier Jahreszeiten» von Carl Friedrich Schroer, November 2025
Der Ring des Blenders

Den Ring mit dem großen Brillant im Altschliff hat der indische Prinz dem Besitzer des Restaurants Aile Sofrasi im Ruhrgebiet abgekauft. Dieser will ihn loswerden, nicht weil er etwa Geldsorgen hätte, sondern weil er ihn von einem ungeliebten Onkel aus Ankara geerbt hat. Der Ring trägt einen großen Diamanten, der etwas unrund geschliffen wurde und deutliche Einschlüsse, sogar Schlieren direkt sichtbar unter der großen Tafel, vorweist. Wenn man mit der 10-fach Lupe schaut, erkennt man eine gesprenkelte Milchstraße, ganz leicht auch bräunlich gefärbt. Der Stein wiegt 2,82 ct, was auch in der Ringschiene graviert ist. Die Ringgröße ist beim Kauf bei 69, also sehr groß. Der Restaurantbesitzer zeigt eine Fotografie des ungeliebten Onkels mit üppigem Schnurrbart, einen roten Hut tragend, sehr groß von Statur mit vorgewölbtem Bauch. Hat er nicht den Ring am kleinen Finger? Nach dem Kauf will der indische Prinz eine Art Ritus vollziehen, um die Erinnerung an den Vorbesitzer zu bereinigen. Er taucht den Ring ganz kurz in den Rhein, danach in ein Glas roten Wein und nimmt einen großen Schluck. Auch lässt er ihn auf die Größe 60 verkleinern, so dass er an seine schmalen Hände passt.
Hat der Diamant auch genügend Feuer? Zunächst ist der indische Prinz zufrieden, die Größe des Steins ist das Anziehendste gewesen. Aber später will er mehr vom Ring, hat er doch ordentlich Geld bezahlt. Der Stein aber will und will nicht glitzern und brillieren. Er hält ihn ins Sonnenlicht, ins Kunstlicht… der Stein zeigt sich stets von blassem Charakter. Aber dann – auf einer Zugfahrt nach Wien – nur das Nachtlicht im Abteil leuchtet, funkelt der Stein auf berauschende Weise wie ein Versprechen, ein sich erfüllender Wunsch, eine Weissagung.
Goldring mit großem Brillant unter Papiercollage, Fotografie RW 8. November 2025
Pareidolie, ein Blick
Ein abgetragenes Hemd, eine verschlissene Hose, ein mürbes Stück Leder, ein geflickter Strumpf, ein verknöcherter Henkel, zwei müde Augen, ein unbeweglicher Zeiger, eine faltige Tischdecke, ein ausgeleiertes Gummiband, ein schrumpliger Apfel, ein verbeulter Topf, ein gesplittertes Glas, eine zersprungene Tasse, ein bleierner Saum, ein verbrauchtes Wams, ein abgeschabter Ärmel, ein vergangener Tag, eine staubige Ecke, ein blindes Huhn, ein verdorbener Brei, ein fleckiges Kissen, ein abgelegtes Kleid, ein schimmeliger Fleck, eine morsche Kiste.
Ein Haus hinter einer Brücke in Sibiu Transsilvanien, gefunden auf Instagram bei Jensspeziell, manipulierte Fotografie RW, 6. November 2025
Personenbeschreibung

Sie hat ein großes Gesicht. Sie zieht die Unterlippe ein und kneift den Mund zusammen. Sie fixiert die Dinge in der Ferne, nimmt aber auch gern die Lupe bei der Nahbetrachtung. Sie hört ein ständiges Zirpen im Ohr, wie von Zikaden im Süden. Wie gern möchte sie diese noch einmal wirklich hören, die Mittagshitze spüren und unter den Pinien hergehen über weichen, mit Nadeln bedecktem Boden.
Sie ist sehr groß und schwer für ihr Alter. Sie lässt ihr Haar bis zur Schulter wachsen. Die Füsse bleiben meistens nackt, auch im Winter. Nur auf Asphalt trägt sie Schuhe. Sie kleidet sich nach den aktuellen Moden, mag die Hosen, Röcke und Kleider gern oversized. Für ihre Kleider sucht sie stets Farben von Gewürzen, Früchten und Edelsteinen aus. Am liebsten mag sie Safran, dazu ein tiefes Violettblau von Waldbeeren. Zu Mandarinfarben trägt sie ein dunkles Melonenschalengrün. Zu Amethystfarben ein Kakaubraun. Sie besitzt Gold und Silber, um sich damit zu schmücken. Eitel ist sie nicht. Es ist das glänzend Dinghafte, das sie an Ketten und Ringen liebt.
Sie hat sich schon als Zehnjährige mit Naturwissenschaften und Künsten befasst. Aber nur bis zu einem gewissen Grade, bleibt zwar dran, hartnäckig ist sie jedoch nicht. Ihr genügt oft die reine Andeutung. Sie mag es nicht, Rätsel zu lösen, mag aber die Rätsel. Sie kann sich nicht erinnern, je ein Geheimnis des Glaubens verstanden zu haben. Sie hat auch nie gefragt. Sie will es bei dem Geheimnis belassen. Sie sieht sich als nichts Besonderes. Will auch nicht auffallen. Insgeheim will sie aber gesehen werden. Die vielen Dinge, die sie anhäuft, will sie alle entsorgen. Aber erst, wenn sie die Matura hat. Sie trauert allen Dingen nach, die sie schon verloren hat (ein milchweißes Hermelinfell mit Kopf und Krallen) und sagt: das war alles ich.
Braunglasierte Tonfigur mit Fluoritkristall, Silberkette und norwegischen Münzen der 90er Jahre, Sammlung RW, Fotografie RW, Oktober 2025
Wat te doen als u een wolf tegenkomt?
Am Eingang zum niederländischen Park der Hoge Veluwe bekommt man, um weiter zum Kröller-Müller Museum zu gelangen, eine Broschüre überreicht: Wat te doen als u een wolf tegenkomt?
Die steinalte Sophia hat die Warnung nicht beachtet, ist sie doch mit dem Auto unterwegs und hat auch nicht vor, großartige Gänge durch das wilde Gelände zu wagen. Sie kennt das Museum und freut sich auf die Wiederbegegnung mit Vincent Van Gogh, James Ensor, Odilon Redon, Piet Mondrian und vielen anderen. Vor allem aber auch auf Lucas Cranach den Älteren, dessen Venus mit Amor als Honigdieb sie zu ihrem Lieblingsbild erkoren hat. Als sie aber in einen Saal tritt, ist sie erschrocken. Ein schwarzes, böses Gesicht blickt auf sie hinab. Eine Fratze nicht. Die Mimik der Dargestellten ist durch ungünstiges Licht an der Decke des Museums verzerrt. Der Maler hat mit pastosem Farbauftrag gearbeitet – Brauen, Augenlider und Lippe der in Weiß gekleideten, eleganten Dame bekommen durch das Museums-Licht von oben unangenehme helle Blitzer. Sophia kann sich das Phänomen erklären, aber sie mag das Gesicht nicht ertragen, dies wird mich verfolgen, muss den Saal verlassen.
Das Porträt der Eva Callimarchi-Catargi von Henri Fantin-Latour bekam die deutsche Kunstsammlerin Helene Müller von ihrem niederländischen Mann Anton Kröller zur Silberhochzeit geschenkt. Zusammen mit Van Gogh’s Gemälde «An der Schwelle zur Ewigkeit». Ein Mann in blauer Kleidung sitzt gekrümmt und voller Kummer, das Gesicht in den Händen verborgen, auf einem Stuhl am brennenden Kamin. Van Gogh malte es im Mai 1890 in der Nervenheilanstalt. Die beiden Bilder hatte Kröller heimlich schon ab 1912 gekauft, um sie am 15. Mai 1913 seiner Frau für ihre Sammlung zu schenken. Das Porträt der strengen, fast abweisenden Dame von Henri Fantin-Latour und das Sorgenbild von Vincent van Gogh passen nach Meinung der steinalten Sophia überhaupt nicht als Geschenkpaar zusammen. Aber Helene hat sich wohl sehr gefreut, wie sie in einem Brief an Anton schreibt: der weinende Mann und die ruhige Frau seien der «sluitsteen» ihrer Sammlung, als wäre jetzt nichts mehr nötig: Was könnte das noch übertreffen?
«Loop de wolf niet tegemoet…» warnt die Park-Broschüre. Unruhig schläft die steinalte Sophia am Abend in einem Hotel bei Otterlo ein. Das Gesicht der Eva Callimachi-Catargi verfolgt sie hinein in die Abgründe zwischen Wachsein und Schlaf, einer Gegend, in der Gestalten von Krieg, Kummer und Tod wachsen.
Im Kröller-Müller Silberhochzeitsmonat und -jahr, am 29. Mai 1913, stirbt Eva Callimarchi-Catargi, die Tochter eines rumänischen Politikers in Paris und im darauffolgenden Jahr sollte der Erste Weltkrieg beginnen.
Portrait d’Eva Callimachi-Catargi 1881, HENRI FANTIN-LATOUR, Grenoble 1836 – Buré 1904, Kröller-Müller Museum, Otterlo, Niederlande, Fotografie RW, 28. September 2025
Der Dreck der Geschichte
Der indische Prinz erzählt die Geschichte des prächtigen Cocktailringes. Seine ungewöhnlichen Proportionen haben ihn fasziniert. Eine breite Fratze schaut ihn an. Ausladend gehen zwei hohe mit Saphiren bestückte Augenpartien zur Seite. Die Nase ist mit einem Rücken aus Diamanten bestückt. Der merkwürdig tief liegende Mund unten und der entsprechende Haarreif oben sind mit Rubinen ausgefasst. Den Ring hat er unter dem Namen Magnifique bague cocktail in einem Lütticher Auktionshaus ersteigert. Er ordnet ihn in die 40er, 50er Jahre des 20. Jahrhunderts ein. Bei der Übergabe ist der Ring sehr, sehr schmutzig – in allen Ritzen und Spalten kleben Spuren der Vergangenheit, die Diamanten sind grau geworden, auf den Rubinen haftet grünlicher Belag. Er fragt nach, aus welchen Zusammenhängen der Ring komme. Man sagt, er sei aus dem Nachlass einer Schriftstellerin aus großbürgerlichem Haus, geboren in Brüssel und in den USA verstorben. Sie sei in den späten 40ern nach Amerika ausgewandert und habe ihr Domizil an eine Angestellte vermietet, mit der Auflage, alles an seinem Platz zu lassen. Die Schriftstellerin, die sich in der Historie Europas auskannte, altgriechisch und italienisch sprach und schon als Jugendliche mit Werken von Joris-Karl Huysmans, Gabriele D’Annunzio, Leo Tolstoi, Platon und Vergil auseinandersetzte, war eine der ersten Frauen, die in die Académie française aufgenommen wurde. Roger Caillois, den der indische Prinz sehr veehrt, war ein Verehrer ihrer Werke und Jean d’Ormesson hat sich für ihre Aufnahme in Paris stark gemacht.
Nach dem Tod der Schriftstellerin wurde der Ring in ihrem ehemaligen Haus in Brüssel, in der untersten Schublade der Anrichte im Esszimmer gefunden. Eingewickelt und verknotet in ein altes Taschentuch der 50er Jahre, bedruckt mit einer hellblauen Katze und einem rosa Fisch. Zu Hause hat der indische Prinz den Ring unter der Lupe betrachtet und leicht angewidert gleich zweimal im Ultraschallbad gereinigt, dabei sehr aufgepasst, dass sich keine weiteren Diamanten verlieren. Laut Auktionshaus fehlen drei, aber beim Nachzählen fehlen nun sieben kleine Diamanten. Der im Übrigen üppige Diamantbesatz fällt auf wegen seiner sehr unterschiedlichen Steine mit diversen Facettenschliffen. Ungewöhnlich zusammengestellt, als hätte der Goldschmied den Auftrag gehabt, alte Steine aus historischen Zusammenhängen für den Ring zu verwenden. Das Rot-Weiß-Blau der Ringsteine erinnert an den drapeau bleu-blanc-rouge, die Tricolore, dargestellt durch die drei traditionellen Edelsteine Saphir, Diamant und Rubin. War der Ring ein Erinnerungsstück für eine französische Liebschaft, die unglücklich endete?
Ring mit Saphir, Diamant und Rubin zwischen Scherben vom Rhein, Sammlung RW, auf dem Kopf stehende Fotografie RW vom 10. September 2025
EI EI 23
Dass der Fujiyama 3776 Meter hoch ist, wusste ich nicht. Quersumme 23. Dass der 102 Jahre alte Bergsteiger 1923 geboren wurde, wie mein Vater, weiß ich nun. Dass er am 3. August, das ist mein Geburtstag, den Aufstieg begann und schließlich am 5. August, Quersumme 23, die Spitze erreichte, ist wunderbar. Dass dazu das Wort Beisteigen erfunden wurde, ist allesamt eine sehr, sehr schöne Geschichte, die eigens für mich heute erzählt und publiziert wurde und Ei Ei – es ist alles wahr.
Zeitungsartikel heute in der RP, weitere Einzelheiten auch auf https://www.smithsonianmag.com,
Fotografie RW, 27. August 2025
The Snakes
Dem indischen Prinz ist seltsam zumute, Schlangen sind ihm von Kindheit an unheimliche Wesen. Das, was er allerdings an ihnen mag, ist, dass sie sich häuten. Eine Erneuerung, die das Alte, Vergangene schrumpelig zurücklässt. So freut er sich, als er den Doppel-Schlangenring entdeckt. Und kauft ihn nicht nur als Zeichen eines Neuanfangs, sondern auch wegen der Queen Victoria. Von 1837 bis 1901 war sie Königin von Großbritannien und Irland und seit 1876 Kaiserin von Indien. Also auch Herrscherin über seine Vorfahren. Victoria bekam von Prinz Albert eben einen Schlangenring zur Verlobung geschenkt, am 15. Oktober 1839. Der Ring, den Albert selbst entworfen hat, trägt einen großen Smaragd auf dem Kopf, Diamanten als Maul und Rubine als Augen. Innerlich muss der indische Prinz schmunzeln, als er der steinalten Sophia seinen neuen Schlangenring aus dem Antiquitätenhandel zeigt und erklärt. Sie erinnert ihn heute mit ihrem mürrischen Mund, ihren leicht vorstehenden Augen und der spitzen Nase im vollen Gesicht an die alte englische Königin. Davon sagt er ihr aber nichts. Nur, dass die Schlangenringe im England des viktorianischen Zeitalters zu einem Verkaufsschlager wurden, ebenso wie der Schmuck aus schottischen Pebbles, das sind die im Gebirge und an Flüssen gefundenen Achate, ebenso gesucht wie die Cairngorm-Quarzkristalle in der Varietät Citrin und Rauchquarz. Albert und Victoria hatten eine Vorliebe für die Natur und liebten Juwelen mit den Schmucksteinen Schottlands. Victoria hat zum Ende ihres Lebens genaue Anweisungen gegeben, welche geliebten Ringe, Medaillons und Ketten mit ihr ins Grab gelegt werden sollten, unter anderem auch der Verlobungsring von Albert, ebenso wie sein weißes Taschentuch, das auf ihr Gesicht gelegt werden sollte, des Weiteren ein Medaillon mit der Haarlocke ihres bevorzugten Dieners, The Queen’s Highland Servant John Brown.
Schlangenringe gibt es seit der Antike. Die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, also einen Ring bildet, heißt Ouroboros, ein Zeichen für Leben und Tod, Wiedergeburt und Erneuerung. Die jahrtausendealten Mythologien und Ikonografien zur Schlange sind dem indischen Prinz zu komplex, er denkt da auch an die negative Konnotation der Schlange als Verführerin im Paradies, als Zeichen von Sünde. Dies sieht er nicht in seinem Ring. Er nimmt ihn sehr, sehr persönlich mit seinen eigenen, geheimen Bedeutungen, die er nicht verrät.
Sein antiker Schlangenring vereinigt zwei Schlangen, die sich umeinander winden, eine mit Rubinkopf und Diamantenaugen, die andere mit Diamantkopf und Rubinaugen. Ein Blutstropfen und eine Träne. Es gibt keine Punze, aber das Gold ist geprüft auf 14 Karat. Der sehr klare Rubin könnte ein Verneuil-Rubin, eine Synthese sein, was zu überprüfen wäre. Der tropfenförmig geschliffene Diamant hat einen kleinen Fehler am Rand. Dort ist ein winziges Stück herausgebrochen, oder die Lücke war von Anfang da, dann hätte der Schleifer die Fehlstelle geschickt am Rand verborgen. Dies alles betrachtend, erneuert und besiegelt der indische Prinz feierlich die Freundschaft mit der steinalten Sophia.
Schlange aus dem Aquazoo Düsseldorf, 2023, Schlangenring Sammlung RW, Fotografie RW, 24. 8. 25
Zu Münster ein Mysterium

Heute betrachtet der indische Prinz den Zweiaugenring. Der Ring stammt aus dem westfälischen Münster. Zwei große oval, rechteckige Diamanten in sehr alten Schliffen, dem old mine cut, sitzen nebeneinander wie ein Augengeschwisterpaar im bombierten Ringkopf. Der Schliff mit mehr Facetten als je zuvor wurde im 18. Jahrhundert entwickelt, so dass diese im Sonnen- und Kerzenlicht ihr wunderbares Feuer entfalten konnten. Es sind fast schon so viele wie beim modernen Brillantschliff, der ab den 10er Jahren des 20. Jahrhunderts immer weiter verfeinert wurde bis zu mindestens 56 Facetten im vollkommenen Rund. Die von Hand geschliffenen Steine im Ring haben eben nicht dieses Rund und auch sind sie unvollkommen in der Symmetrie, die untere Kalette ist als winzige Kreisfläche bis in die obere Tafel zu sehen, die auch kleiner ist als beim modernen Brillant und der untere Teil ist meist höher in der Proportion zum oberen Teil. Diese alten Steine sind nicht nur einzigartig, wie jeder natürliche Diamant, sondern auch höchst individuell, weil das persönliche Handwerk eines Edelsteinschleifers für ewig in ihnen festgehalten ist. Die Diamanten sind eben viel älter als die Fassung – dort sind im Innern zwischen den Diamanten kleine Ösen ohne Funktion zu sehen, stammen die Steine also aus anderem Zusammenhang? Die Nachforschungen des Prinzen führen zu Haus Stapel in Havixbeck bei Münster. Vielleicht haben die antiken Diamanten schon im Jahre 1820 eine devant de corsage-Brosche Maria Theresias von Kerckerinck zu Stapel, einer adeligen Dame aus Münster und die Gemahlin von Konstantin Ernst von Droste zu Hülshoff, geschmückt. Sie hatten 23 Kinder ohne Nachkommen, deren Erben wiederum, in diesem Fall vielleicht die Cousine Ermengard in den 20er Jahren des 20. Jh den Auftrag für den Zweiaugenring gegeben hat. Die reiche Brosche mit 46 Diamanten mag in 23 Teile gesägt worden sein, damit jedes Kind vom Erbe profitieren konnte. In Ermengards Nachlass fand man auch Pariser Schmuckjournale, in denen Bombéringe mit Millegiffes abgebildet waren und so hat sie sich vielleicht dem Stil des Art Déco folgend die Schiene mit den ausgesägten Dreiecks-Ornamenten nachbauen lassen. Den Ring nannte sie Haus-Stapel-Ring und erinnerte sich an ihren Aufenthalt im Schloss in den 70er Jahren, als mehrere Trakte an Studenten und Künstler vermietet wurden und sie in Sorge war, ob das Haus den Richtlinien des Denkmalschutzes gemäß gepflegt wurde. In 90er Jahren des 20. Jahrhunderts gelangte der Ring in den Antiquitätenhandel von Münster, bis er schließlich 2020 vom indischen Prinz erworben wurde.