Heute betrachtet der indische Prinz den Zweiaugenring. Der Ring stammt aus dem westfälischen Münster. Zwei große oval, rechteckige Diamanten in sehr alten Schliffen, dem old mine cut, sitzen nebeneinander wie ein Augengeschwisterpaar im bombierten Ringkopf. Der Schliff mit mehr Facetten als je zuvor wurde im 18. Jahrhundert entwickelt, so dass diese im Sonnen- und Kerzenlicht ihr wunderbares Feuer entfalten konnten. Es sind fast schon so viele wie beim modernen Brillantschliff, der ab den 10er Jahren des 20. Jahrhunderts immer weiter verfeinert wurde bis zu mindestens 56 Facetten im vollkommenen Rund. Die von Hand geschliffenen Steine im Ring haben eben nicht dieses Rund und auch sind sie unvollkommen in der Symmetrie, die untere Kalette ist als winzige Kreisfläche bis in die obere Tafel zu sehen, die auch kleiner ist als beim modernen Brillant und der untere Teil ist meist höher in der Proportion zum oberen Teil. Diese alten Steine sind nicht nur einzigartig, wie jeder natürliche Diamant, sondern auch höchst individuell, weil das persönliche Handwerk eines Edelsteinschleifers für ewig in ihnen festgehalten ist. Die Diamanten sind eben viel älter als die Fassung – dort sind im Innern zwischen den Diamanten kleine Ösen ohne Funktion zu sehen, stammen die Steine also aus anderem Zusammenhang? Die Nachforschungen des Prinzen führen zu Haus Stapel in Havixbeck bei Münster. Vielleicht haben die antiken Diamanten schon im Jahre 1820 eine devant de corsage-Brosche Maria Theresias von Kerckerinck zu Stapel, einer adeligen Dame aus Münster und die Gemahlin von Konstantin Ernst von Droste zu Hülshoff, geschmückt. Sie hatten 23 Kinder ohne Nachkommen, deren Erben wiederum, in diesem Fall vielleicht die Cousine Ermengard in den 20er Jahren des 20. Jh den Auftrag für den Zweiaugenring gegeben hat. Die reiche Brosche mit 46 Diamanten mag in 23 Teile gesägt worden sein, damit jedes Kind vom Erbe profitieren konnte. In Ermengards Nachlass fand man auch Pariser Schmuckjournale, in denen Bombéringe mit Millegiffes abgebildet waren und so hat sie sich vielleicht dem Stil des Art Déco folgend die Schiene mit den ausgesägten Dreiecks-Ornamenten nachbauen lassen. Den Ring nannte sie Haus-Stapel-Ring und erinnerte sich an ihren Aufenthalt im Schloss in den 70er Jahren, als mehrere Trakte an Studenten und Künstler vermietet wurden und sie in Sorge war, ob das Haus den Richtlinien des Denkmalschutzes gemäß gepflegt wurde. In 90er Jahren des 20. Jahrhunderts gelangte der Ring in den Antiquitätenhandel von Münster, bis er schließlich 2020 vom indischen Prinz erworben wurde.