Zeitraffer

An der Wand hängen die Familienfotos. Die Verstorbenen hängen links, die Lebenden rechts von der Uhr. Urgroßeltern, Geschwister, der Vater als Kind, die goldene Hochzeit, die verstorbene Mutter. Es ist Ostern. Die junge Frau am Tisch kommt spät zum Familienkaffee. Um Zehn nach Fünf will sie lieber schon zu Abend essen. Reste vom Mittagessen wurden für sie aufgewärmt. Zu ihrer Rechten sitzt im ursprünglichen Foto ihr Großvater, zu ihrer Linken ihr Ehemann. Das junge Paar hat den ersten Sohn, das Urenkelkind, gerade ein paar Monate alt, dem Urgroßvater, Großtanten und Onkel und zum ersten Mal gezeigt.
Aber das Punctum (im Sinne Roland Barthes‘) im Foto ist hier ein besonderes Geheimnis. Das weiß nur ich. Aber gleich will ich es verraten. Ich fotografierte noch mit der Kamera, nicht mit dem Smartphone. Die Fuji X10 war damals, 2017, mein ständiges Vademecum. Der tägliche Begleiter, der die gesehenen Notizen zuverlässig barg. Und nun hat mich das Vademcum in das Punctum gebannt, in die Familienszene, wie ich sie selber sah. Ich entdecke mich als Fotografin links bei den Verstorbenen im ovalen Rahmen, deutlich der Zeigefinger gekrümmt über dem Auslöser. Heute am Sonntag, den 13. August im Jahre 2023.

Besuch beim Vater,  invertierter Ausschnitt der ursprünglichen Fotografie aus dem Familienarchiv 2023, Fototografie RW, Ostern 2017