Handschriften

Im Alter von etwa 15 Jahren pflegte ich zwei Briefreundschaften, mit der Inderin SB und dem Portugiesen JMBLG. Wie sorgfältig wurden solche Briefe geschrieben, mit schöner Schrift, wie wunderbar die fremden Briefmarken. Der Portugiese erwähnt in seinem Brief die Literatur, die er mag, er zitiert dazu ein Gedicht von Paul Eluard und fragt mich dann, ob ich den Autor der «Brücke» kenne, Manfred Gregor. Das ist das Pseudonym des Autors Gregor Dorfmeister, der dieses Jahr im Februar verstarb. JMBLG war fünf Jahre älter als ich und ich bin mir nicht sicher, ob ich damals die Dimensionen seiner Briefe verstanden habe.
Ich verwahrte im Keller in einem größeren Karton meine alten Briefe auf. Geschwisterbriefe, Elternbriefe, Freundschaftsbriefe, Liebesbriefe. Hatte sie alle längst vergessen. In meiner Jugend war das Schreiben manchmal die einzige Kommunikationsmöglichkeit. In der Studentenbude hatte man kein Telefon. Ich habe noch mindestestens 50 Briefe von meiner Freundin MM aus Schulzeiten. Nach dem Abitur schrieben wir uns noch eine Weile weiter, bis wir uns aus den Augen verloren.
Ich schrieb auch viele, zum Teil ungewöhnlich intime Briefe an meine Lieblingslehrerin, die früh das Gymnasium verlassen hatte, um nach London auszuwandern. Ich erhielt von ihr nicht minder persönliche Antworten, obwohl wir uns zunächst noch siezten.
Die Kultur des handgeschriebenen Briefes ist heute fast ausgestorben. Als Zeichnerin liebe ich die Handschriften der Menschen als deren persönlichste Spur.