Kugelwelt

Die Darstellung des Salvator Mundi in der Malerei hat mich von jeher fasziniert.
Hier abgebildet ist jeweils die Kugel als Sinnbild des Universums, die der Weltenretter in Händen hält, herausgenommen aus vier Gemälden.
Im Uhrzeigersinn: Joos van Cleve, Leonardo da Vinci, van Dyck, Tizian.
Vor ein paar Tagen gab es einen Beitrag der Filmemacherin und Autorin Hito Steyerl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in dem sie in einem kuriosen Rundumschlag auch den für 450 Millionen Dollar ersteigerten Salvator Mundi des Louvre Abu Dhabi, angeblich von Leonardo da Vinci gemalt, erwähnt. Insbesondere die durchsichtige Kugel, die er in seiner linken Hand hält, hat sie in ihren Überlegungen über Virtuelle Realität und andere Blasenwelten angesprochen. In dem Youtube-Film Bubble Vision kann man sehen, wie sie ihre Thesen ausführlicher vorträgt. Sie erzählt hier von 400 Jahre alten Gasblasen im Eis der Arktis, deren Inhalt in der Analyse genau zeigt, wie die Luftzusammensetzung zur Zeit ihrer Entstehung war. 2015 haben Forscher das Jahr 1610 als neueren Beginn des Anthropozäns eingestuft. Hier müssen sich durch die fatalen Folgen der Eroberung der neuen Kontinente die Kohlendioxidkonzentrationen massiv verändert haben. (Massensterben der indigenen Bevölkerung durch neue Krankheiten, Nachwachsen der Wälder auf unbearbeiteten Ackerflächen) Dies sei der Anfang der zerstörenden Einflussnahme des Menschen auf die Erde.
Ein anderes Phänomen zur Blase als fossiles Relikt kam mir da in den Sinn: tatsächlich gibt es beispielsweise in Quarz teils bewegliche, flüssige oder gasförmige Inklusionen, Libellen genannt, die aus der Entstehungzeit des Minerals in seinem Umgebungsgestein stammen, vor 10 bis 100 Millionen Jahren. Wahre Zeitzeugen, eingeschlossen in durchsichtigem Bergkristall, da war kein Mensch zugegen.
Christie’s hat zur Auktion des Salvator Mundi von Leonardo eine opulente Publikation herausgebracht, in der auch die Kunstwissenschaft zu Wort kommt, unter anderem der Leonardo-Experte Martin Kemp, der zur Kugel in Leonardos Bild geforscht hat. Ich frage mich: Warum hat Leonardo die Kugel nicht physikalisch getreu (mit Spiegelung oder Reflexion) gemalt? Weil er ein Reich darstellen wollte, das nicht von dieser Welt ist? Welches Material könnte bei der Kugel im Bild gemeint sein? Bergkristall (Inklusionen), Glas (Luftbläschen), Calcit (Doppelbrechung im Mineral oder Pentiment an der Handwurzel des Salvators)? Es gibt keine Reflexion der Umgebung in der Kugel, auch keine Weltlandschaft wie bei dem Salvator Mundi von Joos van Cleve. In seiner Darstellung sehen wir sogar die deutliche Spiegelung eines Fenster des Raumes, der dem Maler zuzuordnen ist, nicht dem Weltenretter. Das ist ein Rätsel. Der Erlöser im Atelier des Künstlers? Butzenscheiben am Himmel der Welt? Der Maler macht zweierlei: das Irdische virtuos abbilden und das Überirdische erfinden. Bei Leonardo jedoch wird in der Kugel kein Widerspiegeln des Irdischen gemalt, sondern eine Erfindung des Durchsichtigen, scheinbar physisch korrekt mit stofflichen Eigenarten und doch wieder nicht konsequent. Die Kugel hat immerhin drei mit Weiß gesetzte Lichtpunkte und rechts unten viele sorgfältig gemalte, bläschenartige Inklusionen. Mich erinnern sie an die Blasen in Glas, besonders in vulkanischem Glas, das im Erkaltungsprozess mit Gasresten erstarrt. In der Kugel finden wir ebenso ein wunderbares Licht, es fängt sich in ihrem unteren Bereich und erhellt die Fingerkuppen des Erlösers.
Bei Joos van Cleve gibt es in der Kugel nicht nur die geheimnisvolle, nächtliche Landschaft mit einem winzigen Feuer (Anwesenheit des Menschen) im Innern der Kugel, sondern auch die Reflexion des Fensters (Kreuz!) aus dem irdischen Raum des Ateliers und die Spiegelung der Hand des Erlösers, die auf der Kugel liegt. Zur Wesensart seiner Kugelerfindung gehören Drei: das Reflektieren, die Transparenz und – die Imagination.
Tizian malt in seiner Kugel ebenso das Spiegelbild des Fensters mit einer Wiederaufnahme etwas tiefer gegenüber, man glaubt zwei Schatten (von Anwesenden?) zu erkennen. Hier aber schauen wir mehr zur malerischen Erfindung, zu Licht, Farbe und Geste als zum Phänomen des Abbildens.
Bei Anthonis van Dyck scheint die Kugel nicht mehr ganz durchsichtig zu sein, eher translucent, sie wirkt wie vernebelt, in einem schönen Grau, Oliv und einem rötlichen Neapelgelb. Auch sie reflektiert ein Fensterlicht, dass sich im Innern der Kugel unten wiederholt. Die dunklen Schatten der aufliegenden Finger des Erlösers sind genau so berücksichtigt wie die helle Spiegelung seiner Handinnenfläche. Alles Malerei eben.

Salvator Mundi, Joos van Cleve, 1516-18, Louvre
Salvator Mundi, Leonardo da Vinci? und Werkstatt, um 1500, Louvre Abu Dhabi
Salvator Mundi, Anthonis van Dyck, um 1640,
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Lindner, Daniel (2010) (CC BY-NC-SA)
Salvator Mundi, Tizian, um 1570, Eremitage, St. Petersburg
https://www.hermitagemuseum.org/wps/portal/hermitage/digital-collection/01.+Paintings/32188/

Zum Salvator Mundi von Leonardo da Vinci siehe auch den Artikel in der SZ vom 2. Dezember