Vermeer

Der indische Prinz war zu einer der Previews eingeladen. Fernsehen, Internet und Zeitungen, Magazine und social media berichteten seit Tagen über die kommende Vermeer-Ausstellung in Amsterdam. Er genoss das Privileg, vorab in ruhiger Atmosphäre mit wenigen Fachleuten vom Rijksmuseum durch die Ausstellung gehen zu können. Die großen abgedunkelten Räume waren mit hohen Samtvorhängen versehen worden, so gelang der Blick auf die meist kleinformatigen Gemälde intimer, wie Juwelen leuchteten sie ihm an den Wänden.
Der Prinz sah all seine Lieblingsbilder wieder, war mit ihnen seit Jahren vertraut, hatte auch 1996 in Den Haag das Mauritshuis besucht, dort gab es schon 23 von den insgesamt nur 37 Bildern des Künstlers zu sehen. Im Rijksmuseum versammeln sich nun 28 Bilder, ein Ereignis, was kaum zu wiederholen ist. Ein ungeheurer Eindruck, sie wie eine geliebte Familie zusammen zu sehen, nicht chronologisch gehängt, sondern thematisch. Das Wiener Bild war nicht dabei. Aber vor De Schilderconst hatte er schon bei seinen häufigen Reisen nach Wien immer wieder mit höchster Konzentration gestanden. Die Perlenwägerin, en Vrouw met de weegschaal, aus Washington kannte er bislang nur von Abbildungen. Wunderbar genau konnte er nun zum ersten Mal die grauen und weißen Perlstränge neben den Goldketten auf dem Tisch vor der jungen Frau aus dem Halbdunkel herausleuchten sehen und das Jüngste Gericht auf dem Bild im Bild studieren.
Zum exklusiven Diner am Vorabend der Eröffnung hatte der Prinz sein offizielles indisches Gewand angelegt. Aus gelber Seide war seine Jacke, die Stickereien des Pektorale schmückten eingenähte Rubine und Diamanten. Im Zentrum des Turbans prunkte eine Agraffe mit einem blauen Saphir umgeben von Diamanten. Große Perlen hingen an seinen Ohren. Kleidung und Edelsteine hatte er nach den Farben Vermeers ausgewählt. Die Ohrgehänge trägt er zu Ehren des Meisje met de parel. Auf dieses Bild hatte er sich trotz des unsäglichen Vermeer-Merchandising-Rummels sehr gefreut. Der Blick des Mädchens, die Wendung ihres Kopfes, ihre leicht geöffneten blassroten Lippen, das Inkarnat, die Variationen von Gelb- und Blautönen, der Schmelz der Perle, die Feuchtigkeit von Augäpfeln und Mundwinkel, all das verblüffte ihn nur vor dem Original immer wieder aufs Neue.

Spiegelkugeln im Teich, Schloss Dyck, Fotografie RW 2021