St. Étienne

Heute ist Namenstag des heiligen Stephanus. Jean Fouquet malte den Heiligen Mitte des 15. Jahrhunderts auf der linken Tafel eines Dyptichons, zusammen mit dem Stifter Étienne Chevalier, dem Namensvetter des Heiligen. Die beiden blicken nach rechts zur thronenden Madonna, die auf der überaus besonderen rechten Tafel ungewöhnlich abstrahiert dargestellt ist. Mit dem Jesusknaben auf dem Schoß hat die sehr blasse Mutter Gottes eine Brust zum Stillen entblößt, ist umgeben von blauen und roten Engeln. Das Kind weist mit dem Zeigefinger in Richtung Stephanus und Stifter. Das Gemälde der beiden Stephans hatte mich bei einem früheren Berlinbesuch wegen einiger besonderer Details sehr beeindruckt, ich fotografierte den Ausschnitt schon 2010 in der Gemäldegalerie. Der Heilige trägt das Zeichen seines Martyriums, den Stein auf einem Buch, das ihn als gelehrten Mann auszeichnet. Aus dem goldenen Schnitt des Buches ragt die winzige Spitze eines Lesezeichens heraus.
Der Stein ist als kantiges Bruchstück ausgeformt, nicht etwa als gerundetes Geröll. Seine Anmutung ist die eines Flints oder Feuersteins, glänzend, wie nass und messerscharf. Fast wie ein asiatischer Gelehrtenstein, eine große Felsformation sinnbildlich im Kleinen. Oder auch, wie von Menschenhand behauen, eine Skulptur, ein Werkzeug.
Der Kopf des Heiligen blutet fast unbemerkt, das Blut läuft in einem Rinnsal in den Kragen seines kostbaren Gewandes. Stephanus ist mit asketischen Zügen ausgestattet, die Tonsur unterstützt die Hagerkeit seines Kopfes. Seine Kopfwendung geht zwar in Richtung Madonna, aber sein Blick ist eher innerlich. Zart nimmt er den Stifter bei der Schulter, um ihn bei der Mutter Gottes vorzustellen.
Im Hintergrund malt Fouquet kostbare Steinplatten als Ausstattung einer schön gegliederten Wand. Hier imitiert er verschiedene polierfähige, metamorphe Kalkgesteine, unter anderem vielfarbigen Marmor. Gerade die Steinplatte hinter dem Heiligen (perspektivisch gesehen) ist voll farbiger Dramatik. Auf dem Gegenstück des Dyptichons ist der Thron der Madonna nicht nur mit kostbaren Edelsteinen und Perlen ausgestattet, sondern auch mit vielfarbigen Marmortäfelchen und polierten Kugeln aus dem gleichen Marmor versehen, die auch Fensterkreuze widerspiegeln!
Für meine Schwester, die heute auch Namenstag hat.

Jean Fouquet, Diptychon von Melun, um 1455,
linker Flügel mit dem Bildnis des Stifters Étienne Chevalier und dem hl. Stephanus, Staatliche Museen zu Berlin,
Gemäldegalerie,
rechter Flügel: Madonna umgeben von Engeln, Eichenholz, 95 x 85,5 cm © Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, (Datei:Jean Fouquet 005.jpg) – vereint im letzten Winter in Berlin