Der schöne weiße Esel

Da grast der Asino bianco seelenruhig in der Wintersonne. Ob er von der Isola Asinara, der unheimlichen Gefängnisinsel vor Sardinien stammt, ist ungewiss. Hier gibt es noch ein Vorkommen weißer Esel. Vielleicht ist er auch ein Österreicher, ein Verwandter des Albino-Barockesels aus dem Burgenland. Das würde ja passen, denn hier steht er auf Burg Schnellenberg, hoch über Attendorn im Sauerland. Der Esel gefällt mir gut. Er erinnert mich an die Märchen der Gebrüder Grimm. Bei den Bremer Stadtmusikanten ist der Esel der ideenreiche Wortführer und sagt zum Hahn: «Ei was, du Rothkopf, … zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas besseres als den Tod findest du überall; du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musicieren, so muß es eine Art haben.»
Die vier alten, vom Menschen nicht mehr gewollten, unnützen Tiere machen sich zusammen auf den Weg und nur in der Gemeinschaft können sie sich in der Fremde ein neue Bleibe schaffen. Sie verjagen als Monstrum compositum aus Esel, Hund, Katze und Hahn ein paar üble Gesellen aus deren Unterkunft und machen es sich im Räuberhaus gemütlich. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Fotografie RW, Winter 2015, Attendorn, Burg Schnellenberg
http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/grimm_maerchen01_1843