Argus

Das Augenmotiv hatte die steinalte Sophia noch lange beschäftigt. Argusaugen – Pfauenaugen – soviel sie sich erinnern konnte, hatte Juno, die Frau des Jupiter, (oder wenn man möchte Hera, Frau des Zeus) den hundertäugigen Riesen Argus beauftragt, die in eine weiße Kuh verwandelte Geliebte ihres Mannes zu bewachen, dass es ja keinen Grund zur Eifersucht geben könne. Aber Zeus war schlau und schickte Hermes, der den Argus mit seinem Flötenspiel einschläferte und dem Wächter den Kopf abhieb. So konnte Zeus seine Geliebte Io als Stier besteigen und schwängern. Hera aber überließ die hundert Augen des Argus dem Gefieder des stolzen Pfaus.
Da klebte die steinalte Sophia neun der aus Magazinen ausgeschnittenen Augen vom bösen Blick auf die goldene Theaterkoralle und stellte sie umgekehrt auf ein Konglomeratgeröll aus dem Rhein, genannt Puddingstein und eine Citrinstufe vom Ofenpass in der Schweiz. Sehr zufrieden betrachtete sie ihr Werk und überlegte, ob sie aus den Worten Pudding, Ofen, Theater, Blick und Kuh eine neue Geschichte spinnen wollte. Aber dafür war es ihr heute zu heiß und sie blieb still hinter den Jalousien ihres kühlen Hauses.

«Goldene Augenkoralle», Draht, Pappmaché, Illustriertenausschnitte, Rheingeröll, Citrinquarz, Kombination/Sammlung RW, Fotografie RW, Juni 22