Aberwitz

Gestern morgen um Viertel vor Neun schaute ich aus meinem Rheinfenster gen Osten. Die Sonne war gerade aufgegangen und welch ein schönes Zusammentreffen – das Schiff, das gerade ins Bild fuhr, hieß SUNRISE 100. Glaube ich an eine Vorhersehung oder freue ich mich über glückliche Zufälle. Ich muss zugeben, dass ich einen Hang zum Deuten alltäglicher Geschehnisse habe. Bei der Zahl Sechs denke ich an unsere Geschwisterzahl. Sehe ich nun sechs Bäume in einer Gruppe, schaue ich, wie sie gewachsen sind. Hat der eine nicht einen zu dicken Stamm, ist das Laub des anderen nicht ein bisschen karg? Und dieser nicht zu wild gewachsen? Und wie herrlich jener proportioniert ist! Die Übertragungen sollte ich dann lieber für mich behalten, weil ich weiß, dass mindestens eine Schwester ähnlich gestrickt ist.
Oder sehe ich an der roten Ampel das Nummernschild des Vordermanns, rechne ich sofort – ist die Quersumme dreiundzwanzig? Oder sogar mein Sterbejahr dort festgeschrieben?
Das Schiff, das jetzt im Moment des Schreibens vorbeifährt, heißt MEDIATION. (Ich schreibe mit dem Blick zum Rhein.) Welche Konflikte soll ich denn lösen? Googlen wir doch das Wort MEDIATION. Eine Heilpraktikerin für Psychotherapie wirbt im Netz mit folgendem Slogan: Mediation – wenn das Schiff der Kommunikation unterzugehen droht…
Ist das nicht alles zum Haareraufen komisch? Das Schiff, das jetzt vorbeifährt, heißt BOLERO. Den tanz ich jetzt.

Morgens am Rhein, Fotografie Ruth Weber, Dezember 2019