The Snakes

  Dem indischen Prinz ist seltsam zumute, Schlangen sind ihm von Kindheit an unheimliche Wesen. Das, was er allerdings an ihnen mag, ist, dass sie sich häuten. Eine Erneuerung, die das Alte, Vergangene schrumpelig zurücklässt. So freut er sich, als er den Doppel-Schlangenring entdeckt. Und kauft ihn nicht nur als Zeichen eines Neuanfangs, sondern auch wegen der Queen Victoria. Von 1837 bis 1901 war sie Königin von Großbritannien und Irland und seit 1876 Kaiserin von Indien. Also auch Herrscherin über seine Vorfahren. Victoria bekam von Prinz Albert eben einen Schlangenring zur Verlobung geschenkt, am 15. Oktober 1839. Der Ring, den Albert selbst entworfen hat, trägt einen großen Smaragd auf dem Kopf, Diamanten als Maul und Rubine als Augen. Innerlich muss der indische Prinz schmunzeln, als er der steinalten Sophia seinen neuen Schlangenring aus dem Antiquitätenhandel zeigt und erklärt. Sie erinnert ihn heute mit ihrem mürrischen Mund, ihren leicht vorstehenden Augen und der spitzen Nase im vollen Gesicht an die alte englische Königin. Davon sagt er ihr aber nichts. Nur, dass die Schlangenringe im England des viktorianischen Zeitalters zu einem Verkaufsschlager wurden, ebenso wie der Schmuck aus schottischen Pebbles, das sind die im Gebirge und an Flüssen gefundenen Achate, ebenso gesucht wie die Cairngorm-Quarzkristalle in der Varietät Citrin und Rauchquarz. Albert und Victoria hatten eine Vorliebe für die Natur und liebten Juwelen mit den Schmucksteinen Schottlands. Victoria hat zum Ende ihres Lebens genaue Anweisungen gegeben, welche geliebten Ringe, Medaillons und Ketten mit ihr ins Grab gelegt werden sollten, unter anderem auch der Verlobungsring von Albert, ebenso wie sein weißes Taschentuch, das auf ihr Gesicht gelegt werden sollte, des Weiteren ein Medaillon mit der Haarlocke ihres bevorzugten Dieners, The Queen’s Highland Servant John Brown.
Schlangenringe gibt es seit der Antike. Die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, also einen Ring bildet, heißt Ouroboros, ein Zeichen für Leben und Tod, Wiedergeburt und Erneuerung. Die jahrtausendealten Mythologien und Ikonografien zur Schlange sind dem indischen Prinz zu komplex, er denkt da auch an die negative Konnotation der Schlange als Verführerin im Paradies, als Zeichen von Sünde. Dies sieht er nicht in seinem Ring. Er nimmt ihn sehr, sehr persönlich mit seinen eigenen, geheimen Bedeutungen, die er nicht verrät.
Sein antiker Schlangenring vereinigt zwei Schlangen, die sich umeinander winden, eine mit Rubinkopf und Diamantenaugen, die andere mit Diamantkopf und Rubinaugen. Ein Blutstropfen und eine Träne. Es gibt keine Punze, aber das Gold ist geprüft auf 14 Karat. Der sehr klare Rubin könnte ein Verneuil-Rubin, eine Synthese sein, was zu überprüfen wäre. Der tropfenförmig geschliffene Diamant hat einen kleinen Fehler am Rand. Dort ist ein winziges Stück herausgebrochen, oder die Lücke war von Anfang da, dann hätte der Schleifer die Fehlstelle geschickt am Rand verborgen. Dies alles betrachtend, erneuert und besiegelt der indische Prinz feierlich die Freundschaft mit der steinalten Sophia.

Schlange aus dem Aquazoo Düsseldorf, 2023, Schlangenring Sammlung RW, Fotografie RW, 24. 8. 25