Glückliche Finderin

Am Nachmittag sah die steinalte Sophia, wie vor ihrem Haus ein Auto wegfuhr. Die Straße war nass, auch dort, wo das Fahrzeug gestanden hatte. Wegen der vielen kurzen, heftigen Schauer war sie noch nicht draußen gewesen. Aber jetzt stand sie auf der Straße direkt am Rhein. Blitzschnell bückte sie sich, denn sie sah mit Sekundenblick einen goldenen Ring auf dem schwarzglänzenden Asphalt. Sie hob ihn auf und ließ ihn mit klopfendem Herzen in ihre Manteltasche gleiten. Das nähere Studieren ihres Fundes wollte sie sich für später aufheben. Nach einem Einkauf im großen Supermarkt war sie wieder zu Haus angelangt und verstaute die Einkäufe in Kühlschrank und Vorratskammer. Den Champagner für ihren morgigen Geburtstag stellte sie kalt und wusch sich die Hände. Der Ring in der Manteltasche war die ganze Einkaufszeit in ihrem Kopf geblieben, jetzt zog sie ihn hervor und wusch und schrubbte ihn vorsichtig mit einer Bürste. Es war ein Bandring mit kleinen goldenen Blüten, in deren Mitte winzige glitzernde Steinchen blitzten. Das Gold glänzte kalt und die Kanten des Rings waren scharf. Außerdem war er verbogen, wahrscheinlich war das Auto vom Parkplatz darübergefahren. Das ist kein Gold, das seh‘ ich schon mit bloßem Auge. Mit Hilfe der Lupe konnte sie das Wort Steel erkennen und die Zahl 8. Außderdem war auch auf der Innenseite des Rings ein Glitzersteinchen angebracht. Daneben eine Herstellermarke mit einem bekannten, für sie albernen Namen. Die steinalte Sophie war entäuscht. Aber, dachte sie, allein die freudige Auffinde-Sekunde ist ja so schön gewesen, fast ein lustiges déjà vu. Weil sie ja heute mit dem indischen Prinzen im Pfandhaus war und sich neun Ringe nach von ihr recherchierten Nummern hatte vorlegen lassen, sich alle sorgfältig mit Brille und Lupe angesehen und sich dann für einen mit einem blauen Saphir und Diamanten entschieden hatte und sich freute, dass sie so gut beraten worden war und dass alle so eine Geduld mit ihr hatten und ihren Argumenten zuhörten, zu konventionell, zu protzig, zu sehr siebziger, zu teuer, zu ähnlich einem schon vorhandenen, wie sie dann Ring für Ring zur Seite legte, immmer weiter argumentierend, bis schließlich einer übrig blieb, und dieser sogar in der Identifikationsnummer ihre Geburtszahlen hatte, was dann das Entscheidende war, und ihr nichts anderes übrig blieb, als den Ring zu kaufen.

Fund von der Straße, invertierte Fotografie RW, 2. August 2025