Fotografie

Milliarden von Fotos schwirren durch die Welt. Nicht Milliarden, sondern fast so viele wie die Sandkörner in den Wüsten. Es lohnt sich, ein jedes Sandkorn unter dem Mikroskop anzuschauen. Ist es ein Millionen Jahre altes Quarzkorn, ein Feldspat, ein Korund, ein fossiles Überbleibsel, eine Foraminifere aus einem fernen Urmeer? Lohnt es sich auch, einen Blick auf die Fotografien der Bilderwüste zu werfen? So könnte jeder Mensch jederzeit jedes Bild betrachten. Theoretisch ja. Aber praktisch nicht, es muss eine lebensnotwendige Selektion geben.
Wenn Fotografie durch ihr momenthaftes Lichtwesen vergänglich ist, sind wir gerettet – die Bilder verschwinden wieder, so wie sie aufgetaucht sind. Aber leider ist nur der Augenblick des Fotografierens vergänglich. Das Ergebnis bleibt, zumindest für ein paar Jahrzehnte: Als Abzug oder Lichtbild, digitale Datei. Seit ich digital fotografiere, drucke ich nur wenige Bilder aus. Statt dessen existieren Riesendatenbanken auf dem PC oder in der Cloud. Die Abzüge auf Papier erhalten sich allerdings besser als die Dateien. Ich besitze alte Fotografien der Familie, die zum Teil noch aus dem 19. Jahrhundert sind.

Instagram, eine Plattform für Tausende von Fotografen – Pinterest, auch eine Plattform für Tausende von Fotografen. Diese Plattformen sind Zeiträuber, da man angesaugt wird von Bild zu Bild. Eine Auswahl trifft man als Individuum in jedem Fall, daher ist es vielleicht doch nicht so tragisch, ­– und im nächsten Moment sind die gesehenen Bilder dank schützender Funktionen unseres Gehirns vergessen .
Die moderne professionelle Fotografie ist so hässlich – sensationsheischend, überscharf, übergrell, in hohen Kontrasten, als könnten die Augen keine Zwischentöne mehr sehen, als gäbe es keine Wahrnehmung mehr für Übergänge, verhaltene Farben und Halbschattentöne.
Ihre Motive sind ebenso hässlich, weil das Übertriebene stets dominiert: der riesige Abgrund, die riesige Höhe, die riesige Entfernung, die riesige Nähe, der riesige Kontrast zwischen extremem Vordergrund und unendlicher Ferne. Flug, Sturz, Tempo, Jagd, spritzende Flüssigkeit, vernebelnde Staubwirbel und das alles eingefroren auf Nanosekunden. Exorbitanz heißt das Wort. Besonders treffende Beispiele für diese Wahrnehmungscodes sind die Red Bull Publikationen oder Abbildungen in Fachmagazinen der Fotofirmen.

Für mich ist die Arbeit von fotografierenden Künstlern wesentlich wichtiger.
Eine Künstlerin sammelt alle fotografischen Bilder, die den von ihr gemachten ähnlich sind. Daraus macht sie etwas Neues, quasi einen Haufen aus Bildern. Ein anderer Künstler traut dem behaupteten, dokumentarischen Gehalt der Fotografie nicht und untersucht und verändert gefundene Fotos durch Bearbeiten mit Computerprogrammen, bis die Bilder zu seinen geworden sind und sich von dem, was sie behaupten, entfernt haben oder sich einer anderen Wahrheit nähern. Schon zu meiner Studienzeit kannte ich einen Künstler, der weggeworfene Fotografien sammelte, die er auf der Straße fand, besonders in der Nähe von Passfotoautomaten.
So hat auch eine sehr bekannte Vertreterin der sogenannten «Inszenierten Fotografie» einen Auftritt bei Instagram, wo sie außer ihrer Fotokunst weitere, eher private Bilder postet. Man nimmt an dem teil, was sie von ihrem persönlichen Leben und ihrer Anwesenheit in der Mode- und Glamourwelt bekannt geben will. Es bleibt abzuwarten, ob das ihrer Arbeit schadet oder diese weiterbringt.
Für eine weitere Künstlerin ist Fotografie ein Medium, mit dem sie, anders als mit Worten, eine Beobachtung transformieren kann. Die Beobachtung wird fotografiert, weil diese sie zum Staunen gebracht hat. Sie schneidet dann aus den gesammelte Ansichten den Nucleus heraus oder findet ihn durch den glücklichen Augenblick schon fertig vor.

Alle Bilder sind schon gemacht – aber trotzdem ist jedes neue Foto einzigartig, durch Zeit, Ort und Individuum.