Zu diesem Ring erzählt der indische Prinz folgende Geschichte.
Ambrose – so wollen die Eltern ihren Sohn nennen. Für die junge englische Familie ist es der erste Sohn nach drei Töchtern. Sie sind katholischen Glaubens und nennen den Sohn nach einem der vier Kirchenväter – Augustinus, Gregor, Hieronymus und Ambrosius. Sie geben ihm noch zwei weitere Vornamen, Marian und Luke. Damit prophezeien seine Namen einen künstlerischen Weg – der heilige Lukas als Patron der Maler malte der Legende nach die Muttergottes. An die große Freude über die Geburt des Jungen erinnert der indische Prinz sich genau. Er spürt ein luftiges Frühlingsgefühl, er assoziiert die Farbe Himmelblau – dieses Glück, als der Junge ausgerechnet am Geburtstag der Mutter im März geboren wurde. Das Elternpaar nimmt es wie ein göttliches Arrangement. Sie beschließen eine neue Wohnung, ja ein kleines Häuschen am Rande von London zu mieten. Der Vater bekommt die Prokura in seiner Firma und kauft bei einer günstigen Gelegenheit einen Mercedes, ein luxuriöses Modell von 1952, noch mit Vorkriegskarosserie, so dass der reiche Nachbar argwöhnisch fragt, wie können Sie sich das denn leisten?
Bald darauf geht der Vater heimlich in ein Auktionshaus, um seiner Frau ein kostbares Geschenk zur Geburt des Sohnes zu machen. Im Versteigerungskatalog hat er einen historischen Ring gesehen mit einem großen Rubin, fast 6 ct schwer. Außerdem gefällt ihm ein Art Déco Ring in Weißgold, geschmückt mit Diamanten, die in einem sehr schönen Aufbau die Zahlen Zwei, Vier und Acht verbergen. Der Art Déco Ring mit der Nummer 58 soll am nächsten Tag schon morgens versteigert werden. Der alte Rubinring mit der Nummer 404 wird erst am Nachmittag gegen Drei versteigert. Wieder zu Hause überlegt sich der Vater – ich kann nur einen Ring kaufen. Mein Favorit ist der Rubinring. Also werde ich erst am Nachmittag zur Versteigerung gehen. Mit ein bisschen Luft. Also findet er sich um 14 Uhr im Auktionshaus ein, dort ist gerade Pause, er lässt sich die Bieternummer geben. Es ist die 56. Er nimmt Platz, bestellt sich eine Flasche Wasser, steht noch einmal auf, um einen Assistenten zu fragen, welche Nummer zuletzt versteigert wurde. Wir sind bei der Nummer 523, sagt dieser. Wie? Ich wollte doch für Posten 404 steigern! ruft der Vater. Das tut uns leid, manchmal geht alles ein bisschen schneller, sagt der Assistent. Der Rubinring ist für 800 DM versteigert worden! Und für wieviel die Nummer 58? fragt der Vater enttäuscht. Der Art Déco Ring ist nicht versteigert worden, liest der Assistent im Bericht vom Vormittag. Das ist ja ein Ding, ein Zeichen, dass dieser Ring eigentlich gemeint war, denkt der Vater, dann kann ich ihn ja jetzt im Nachverkauf erwerben. Er schenkt den Ring im gleichen Jahr seiner geliebten Frau zum Nikolaus. Die verborgenen Zahlen des Rings erfasst der indische Prinz sofort, als er viele Jahre später der Familie folgende Deutung vorschlägt: die Zwei für das Elternpaar, die Vier für die Anzahl der Kinder zur Zeit der Geburt des Sohnes und – die Acht für alle Familienmitglieder insgesamt, denn es sollten noch zwei weitere Töchter geboren werden.
Ambrose Marian Luke bleibt also der einzige Sohn der Familie. Er wird Künstler und Kunstwissenschaftler, hat am Royal College of Art und am Courtauld Institute of Art studiert und weiß alles über die Kirchenväter, die Lukasgilden und die Marienverehrung. Jedes Jahr lädt er seine fünf Schwestern in The Roseate Villa in Bath ein, um alte Erinnerungen der Familie zu wecken und gemeinsam auszutauschen.
