Der indische Prinz hat Folgendes vor – zu jedem seiner Juwelen will er eine Geschichte erzählen. Über Herkunft, Art und Alter der Ringe, Anhänger, Ketten, Broschen und Nadeln. Er beginnt mit einem Weißgoldring, geschmückt mit Brillanten und einem Turmalin. Das Besondere an dem Ring ist sein architektonischer Aufbau. Wie eine hohe Brücke mit breit gewölbten Pfeilern sitzt er über dem Finger. Auf dem Dach gehen vom grünen Mittelstein nach rechts und links je zwei rund schwingende Arme aus, die in vier kleinen Brillanten von circa 0,10 ct enden. Die Arme sind mit Achtkantdiamanten besetzt und umgreifen eine Höhlung mit dem Dekor einer Herzmuschel.
Als der indische Prinz dieses schöne Motiv sieht, will er den Ring besitzen. Er sah ihn vor einer Woche in einem Dortmunder Antiquitätengeschäft. Vom Händler erfährt er, dass er aus dem Nachlass einer Augsburger Unternehmerfamilie stammen soll, die nach Dortmund umsiedelte. Alles ist mit alten Rechnungen belegt. Der Urgroßvater der Erben hat den Ring vor sehr langer Zeit in Auftrag gegeben. Zwischen den beiden Weltkriegen kommt er durch erfolgreiche Geschäfte im Bierhandel zu Geld. Einen Smaragd kann er sich jedoch nicht leisten, hat aber von neuen Vorkommen schöner, grüner Turmaline aus Brasilien gehört, die seit den 20er Jahren auf den Markt und im späten Art Déco in Mode kommen. Etwa 1935 gibt er einem Juwelier in Augsburg den Auftrag für einen repräsentativen Ring, der seine Freude am Leben bezeugen soll. Der Kaufmann besitzt auch zwei Ringe einer Augsburger Großtante, einen mit einem grünen Turmalin aus Brasilien und einen mit vier Diamanten in unterschiedlichen Schliffen, die gibt er dem Goldschmied dazu. Fast will dieser die Steine nicht verwenden, einer der Diamanten hat eine ungewöhnlich große Tafel und wirft das eingefangene Licht nicht so pefekt zurück, wie man es von ihm erwarten darf. Aber der Kaufmann besteht darauf, dass all Steine eingearbeitet werden sollen, weil er an seine alte Tante Elisabeth voll guter Erinnerung denkt. Sie hat ihm in schwierigen Situationen mehr geholfen als seine Eltern. Dann wünscht sich der Kaufmannn noch das Muschel-Motiv, das er auf dem alten Silberbesteck der Tante gesehen hat. Jakob ist sein zweiter Vorname, so muss es das Pilgermotiv sein. Er hat sogar eine kleine Zeichnung angefertigt, wie er den Ring haben will. Für den fertigen Ring bezahlt der Kaufmann mehr als 1000 Reichsmark, eine hohe Summer zu dieser Zeit. Immerhin sind fast zehn Gramm Weißgold verwendet worden.
Der Ring spricht alles aus: Im Innern sieht der indische Prinz, dass der Turmalin aus alten Zusammenhängen kommen muss, da er noch seine alte Fassung in Gelbgold behalten hat. Und der eine unvollkommene Diamant der Tante mit der zu großen Tafel sitzt oben links oder unten rechts, je nachdem wie man ihn trägt. Vom Antiquitätenhändler erfährt der indische Prinz noch, dass der Ring dem sogenannten Retrostil der späten 30er und 40er Jahre behaftet sei, eben die elegante, geometrische Art des späten Art Déco besäße.