Rheingerölle

Eine Schatzsuche

Die Gesteine und Artefakte fand ich an den Rheinufern des Niederrheins. Etwa seit 2003 bin ich viele Male unterwegs gewesen. Einige Exemplare sind am Mittelrhein bei Kaub und der Loreley gefunden worden.

Es erfordert eine Zeit, sich einzusehen. Zuerst ist man blind, ein paar Minuten sind nötig, um den Blick zu schärfen. Der gleichmäßig kleinteilige Untergrund verschwimmt zunächst zu einem einheitlichen Bild, dann erst schaut man differenzierter. Manchmal findet man aber beim ersten Blick ein besonderes Stück, wie in Duisburg-Mündelheim an der Uerdinger Brücke, ein prächtiges Achatbruchstück.

Ich streife den unmittelbaren Flusssaum ab, gehe dann aber auch höher in die verschiedenen Ablagerungszonen. Wichtig ist auch ein strategischer Anteil beim Suchen: hat man längere Zeit nichts Interessantes gesehen, hilft es, sich auf circa einen Quadratmeter zu konzentrieren, oder mit einem Stöckchen die Geröllablagerungen ein wenig zu wenden. Am Flussufer direkt im Flachwasserbereich ist es leichter wegen der kräftigeren Farben der nassen Steine. Der Abwechslung halber gehe ich dann auch zu Aufhäufungen im höheren Terassenbereich, hier die natürlichen Sortierungen beachtend, flache Scheibchen liegen wie Dachziegel übereinander, bis kinderfaustgroße Exemplare gibt es in den meist sehr ergiebigen, kurvigen Uferbereichen.

Selbstgemachte Hypnosesprüche beim Suchen steigern die Konzentration: Streifen, Streifen, Streifen, Streifen, wenn ich einen Achat finden will. Maasei, noch ein Maasei, wegen der schönen glatten Oberfläche und der perfekten Rundung. Oder, jetzt zum Schluss noch ein Maasei als Krönung, dann muss ich die Suche beenden, dabei halte ich ein schon gefundenes Exemplar in der geschlossenen Hand, Anziehungskraft für den neuen, noch schöneren Stein.

Der fokussierte Blick auf besondere Muster, Texturen (Porphyre, Granite, Konglomerate), Strukturen (Gneise, Schieferungen) hilft beim systematischen Suchen. Eisenkiesel und Jaspis fordern natürlich den Blick auf die Farbe. Alles Rote fällt in den vielen Grau- und Brauntönen besonders auf.

Bei trübem Wetter ist das Suchen nicht so anstrengend für die Augen. Aber wenn die Sonne scheint, glitzern alle winzigen Kristalle und Feldspäte, auch Glimmer entdeckt man zum Beispiel in Graniten oder Laacher Bims. Am besten ist es, wenn die Sonne tiefer steht und die Steine seitlich beleuchtet. So hab ich schon einen sehr durchscheinenden, klaren Quarz gefunden. Das sind ja die eigentlichen Rheinkiesel.

Man kann natürlich auch nach mineralogischen oder petrologischen Themen suchen: nur Melaphyre, nur Konglomerate oder nach vermuteten Herkunftsgebieten. Nur wer weiß, der findet… das heißt, je mehr an Erfahrung und Vorwissen man mitbringt, umso deutlicher fällt einem im Sammelsurium des Gerölls ein Stein auf und man kann regelrecht gezielter finden. Eine besondere gekröseartige Struktur zum Beispiel kann auf einen Jaspis deuten oder bei durchscheinendem weißlichen Stein auf Chalzedon. Die Unterscheidung zwischen Konglomeraten, Porphyren und Graniten in der kleinteiligen Oberflächentextur ist relativ schnell gelernt.

Neben Tasche, Trinkwasser und Lupe hab ich manchmal den Geologenhammer dabei, zumindest ein Schweizermesser, um vor Ort etwas wegzukratzen, Ritzproben zu machen oder einen Kalkstein aufzuschlagen wegen Fossilverdacht.

Ich kann nicht länger als zwei Stunden suchen, dann sind die Augen (und der Rücken!) überanstrengt. In der Regel finde ich nach ein bis zwei Stunden einen schönen Querschnitt aller wichtigen Geröllarten, aber in Köln keine Maaseier, ab Düsseldorf tauchen sie eher auf und meist welche mit Verwitterungsrinde in braunen Tönen. Achatstückchen immer eher klein, aber auch in ihrer Winzigkeit haben sie die wunderschöne Bänderung, die sie so typisch machen. Melaphyre sind eher selten, am häufigsten Quarz und Quarzit, in Duisburg viele Lydite, in Düsseldorf viel Limonit in sonderbarsten Formen. Freude bringen auch Knochen und Tierzähne, abgerollte Glasstücke, Ton- und Porzellanscherben, also Artefakte und organische Gerölle. Fossiles findet man in Kalksteinen, auch in Sandsteinen als Abdruck, manchmal in Limonit als Kernerhaltung. Vermeintliche Blitzröhren sind eisenhaltige Sandauscheidungen im Wurzelbereich ehemaliger Flachmeere, Limonitröhren. Auch Schlackestücke sind ab Düsseldorf zu finden, aus der Glas- und Hochofenindustrie, gleichsam künstliche Mineralien.

Ich betrachte die erdgeschichtliche Welt durch meine Funde. Ich finde das Wunder im Unscheinbaren, die Entstehung der Welt im kleinen Ausschnitt. Dazu kommt die Euphorie des Findens, ein tiefes Glücksgefühl stellt sich unmittelbar ein, wenn ich ein seltenes Exemplar in Händen halte, ein ungläubiges Staunen über die Kostbarkeit des Mikrokosmos im Rhein. Ich habe so viele ausgefallene Funde gemacht, dass ich mich schon für begnadet hielt. Das Besondere habe ich allerdings selbst zum Besonderen erklärt. Der Rhein selbst mit seiner Milliardenzahl an Geröllen relativiert die Exklusivität der Funde, meine subjektive Auswahl allerdings ist einzigartig.

Beim nachträglichen Untersuchen zu Hause kommt die Freude des Forschens hinzu, nach dem Reinigen der Steine stellen sich mir neue Rätsel, oft tut sich dann noch beim gründlichen Studium mit Lupe und Mikroskop eine Überraschung auf. Ein unter Schmutz verborgenes Kriställchen oder winziges Fossil. Bevor die Steine in etikettierten Schubladen verschwinden, werden sie ein Weile ausgelegt und um ihrer Schönheit willen betrachtet. Und ich bin begierig, weiter zu forschen in der Literatur und suche Fachleute auf, um sie zu befragen.

Meine Steine werden systematisiert und fotografiert in einer Datenbank. Die Sammlung sollte man stetig verbessern: das beste Exemplar als Prototyp, alle weniger schönen und unwichtigen kommen wieder an den Rhein. Die Natur und die Kunst sind meine Kriterien.

Ruth Weber
Düsseldorf,  23. Februar 2009

überarbeitet am 23. November 2017, R.W.

Von Steinen spreche ich

Ein Film von Margit Bauer über die Sammlung von Ruth Weber
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